Die Behandlungsräume im Heidelberger Ionenstrahl-Therapiezentrum (HIT) wären für jeden Science-Fiction-Film die perfekte Kulisse: Große Maschinen und futuristisches Design dominieren hier. Zumindest medizinisch stimmt der visionäre Eindruck, denn das 2009 eröffnete Therapiezentrum ist deutschlandweit das einzige, in dem Krebs durch Bestrahlung mit Schwerionen und Protonen bekämpft wird. Das kommt besonders Kindern mit Krebs zugute.
Ultraschnelle Ionen statt Röntgenstrahlen
Das Besondere an einer Behandlung im Heidelberger Ionenstrahl-Therapiezentrum liegt in der Andersartigkeit der Strahlen: Im Gegensatz zu üblichen Behandlungsmethoden mit Röntgen- oder Gamma-Strahlen werden hier keine Photonen, sondern stark beschleunigte Ionen auf die Tumoren geschossen. Ionen sind geladene Teilchen, im HIT setzen die Mediziner sowohl Protonen als auch Schwerionen wie Sauerstoff-, Kohlenstoff- und Helium-Ionen ein. Die in einem speziellen Beschleuniger bis auf drei Viertel der Lichtgeschwindigkeit gebrachten Ionen gelangen über die sogenannte Gantry gezielt zum Patienten. Diese 25 Meter lange und 670 Tonnen schwere Konstruktion dient dazu, die verschiedenen Strahlen hochpräzise genau auf den Tumor zu lenken. Der Strahl kann dabei bis zu 30 Zentimeter tief ins Gewebe eindringen und weicht dennoch höchstens einen halben Millimeter vom Ziel ab
Tumor im Kreuzfeuer
Weil die Konstruktion frei dreh- und schwenkbar ist, kann sie den Tumor ins Kreuzfeuer nehmen: Mehrere Strahlenbündel überschneiden sich erst im Tumor und addieren sich nur hier zur Gesamtdosis. Denn aufgrund ihrer hohen Geschwindigkeit und ihrer großen Masse durchschlagen die Ionen das Gewebe blitzschnell und bilden ein scharf begrenztes Strahlenbündel mit nur minimaler seitlicher Streuung. Erst ganz am Ende ihres Weges, kurz bevor sie stehen bleiben, geben die Ionen zerstörerische Energie auf einen Schlag an das Gewebe ab. Das gesunde Gewebe, das den Tumor umgibt, erhält dadurch nur jeweils einen Bruchteil der Strahlung und wird so geschont.
Weil Ionenstrahlen so genau treffen und gesundes Gewebe ausgespart bleibt, kann die Strahlendosis im Vergleich zur konventionellen Bestrahlung um bis zu 35 Prozent erhöht werden. Aber auch die biologische Wirkung der Ionenstrahlung ist höher: Während die herkömmliche meist nur sich aktiv teilende Zellen des Krebses trifft, schädigt die Ionenstrahlung auch ruhende oder sich selten teilende Krebszellen. Weil die Schäden gravierender sind, kann sich das Tumorgewebe zudem weniger gut reparieren. So verursacht Schwerionenstrahlung erheblich mehr gegenüber liegende Brüche in den beiden Strängen des Erbmoleküls DNA. Als Folge zerbricht das Erbgut der Tumorzelle in kleine Segmente, und die Zelle stirbt ab. Damit steigen die Heilungschancen für die Patienten.
Hoffnung vor allem für Kinder
Bisher haben die Heidelberger Krebsmediziner rund 600 Patienten mit der neuen Methode bestrahlt. Darunter waren Patienten mit Knochentumoren, Tumoren des Schädelbasis, des Beckens oder der Speicheldrüsen. Bei vielen dieser Patienten waren die Tumorzellen gegen konventionelle Behandlungen resistent oder lagen an schwer erreichbaren Stellen tief im Inneren des Körpers. Vor allem aber für die Behandlung krebskranker Kinder birgt die Ionenstrahltherapie großes Potenzial, denn sie verringert die langfristigen Nebenwirkungen der Bestrahlung, wie Jürgen Debus, wissenschaftlich-medizinischer Leiter des Zentrums erklärt: „Da mit Ionenstrahlen das gesunde Gewebe sehr gut geschont wird, können Wachstums- und Entwicklungsdefizite sowie das Entstehen von Zweittumoren vermieden werden.“
Welche Heilungserfolge die Therapie im Heidelberger Zentrum langfristig bringt, erforschen die Wissenschaftler zurzeit anhand klinischer Studien. „Diese Studien werden uns zeigen, welche Tumoren mit welcher Strahlenqualität am erfolgreichsten behandelt werden können. Das sind ganz wichtige Erkenntnisse, um eine Bestrahlung noch individueller auf jeden Tumorpatienten zuschneiden zu können und damit die Heilungschancen des einzelnen zu verbessern, “ so Debus.
Seit seiner Eröffnung haben die Techniker und Mediziner das hochpräzise Bestrahlungsverfahren des HIT weiterentwickelt und es auf die Behandlung sich bewegender Organe ausgedehnt. Seit 2010 bietet ein PET-Computertomograf in unmittelbarer Nähe der Bestrahlungsräume zudem die Positronen-Emissions-Tomographie und die Computertomographie in einem Gerät. Nach der Behandlung kann so die Genauigkeit der Bestrahlung geprüft und gegebenenfalls bei der nächsten Bestrahlung korrigiert werden.
Stand: 25.05.2012