Auch in einer Region, für die Heiner Igel möglicherweise bald Simulationen erstellen wird, verfolgt man diese Spur: in der Gegend um Seattle. In den meisten Erdbebenszenarien taucht die Metropole im Nordwesten der USA mit fast vier Millionen Einwohnern nicht an erster Stelle auf. Vor der Küste treffen zwei tektonische Platten aufeinander, im Bereich von Vancouver Island im Südwesten Kanadas bis nach Nordkalifornien schiebt sich die Juan-de-Fuca-Platte unter die Nordamerikanische Platte.
Droht ein Beben der Stärke 9,0?
Die Stärke eines Bebens hängt von der Länge der Risskante und der Dicke der Erdkruste an dieser Stelle ab. Wenn die Erde vor der Nordwestküste Amerikas über 1.000 Kilometer reißt, gibt es ein gewaltiges Erdbeben der Stärke 9,0. Zuletzt ist so ein Beben in der Region im Januar 1700 gemeldet worden, also vor mehr als 300 Jahren. Damals hob sich der Boden um fast zehn Meter, den ausgelösten Tsunami vermerkten sogar japanische Mönche auf der anderen Seite des Pazifiks in ihren Klosterbüchern.
Geologische Spuren deuten darauf hin, dass solch gewaltige Erdbeben mindestens siebenmal in den vergangenen 3.500 Jahren auftraten, dies bedeutet statistisch ein Beben alle 400 bis 600 Jahre. „Dieses Beben wird kommen. Es kann überall zwischen Nordkalifornien und dem Südwesten Kanadas passieren“, sagt Igel, „auch direkt unter Seattle.“
Ausnahmezustand im Puget Sound?
Ein gewaltiger Tsunami könnte in den Puget Sound vor Seattle eindringen und sich mit einer meterhohen Wellenfront bis in die Großstadt vorschieben. „Das Beben wäre ähnlich dem Tohoku-Oki-Beben in Japan im März 2011“, sagt Igel. Da die Großstädte Seattle und Vancouver im gefährdeten Bereich lägen und dort insgesamt mehr Menschen lebten, wäre es eine „große Katastrophe“.
Hubert Filser/ „Einsichten – Das Forschungsmagazin“ der Ludwig-Maximilians-Universität München
Stand: 08.12.2011