Phänomene

Tief ist dunkel, hoch ist hell?

Das Rätsel der Unterschiede und Gemeinsamkeiten

Die Britin Dorothy Latham sieht O als leuchtend rot, für ihren Zwillingsbruder Peter sind dagegen R und Z rot. Selbst bei Zwillingen, die beide Synästheten sind, können sich die Farben, die beide mit Zahlen verbinden, deutlich unterscheiden. Und auch die Künstlerin Carol Steen und ihr Vater sind in dieser Hinsicht nicht immer einer Meinung, wie sie erzählt: „Dreißig Jahre später kam mein Vater mich in Manhattan besuchen und sagte: ‚Weißt du, die Zahl vier ist wirklich rot und die Null ist weiß. Und die Zahl neun ist grün.‘ Ich entgegnete: ‚Naja, ich stimme dir bei der Vier und der Null zu, aber die Neun ist definitiv nicht grün.“

Das "A" ist statistisch gesehen bei Synästheten häufiger rot. Hier das Alphabet von Kelley, die nicht nur die Buchstaben farbig sieht sondern auch in einer speziellen dreidimensionalen Anordnung. © Kelley / CC-by-sa 2.0 us

Eine komplette Übereinstimmung aller Buchstaben- oder Zahlen-Farben bei zwei Synästheten ist nach den Erfahrungen der Forscher bisher kaum vorgekommen. In jüngster Zeit haben Wissenschaftler allerdings Hinweise darauf gefunden, das bestimmte Paarungen gerade bei Buchstaben-Farben-Synästhesie statistisch gesehen häufiger auftreten als andere. So ist das A sehr oft rot, die letzten Buchstaben des Alphabets lösen dagegen häufig die Wahrnehmung von metallischen oder dunkleren Farbtönen aus.

Alles nur frühkindliche Prägung?

Das hat einige Wissenschaftler zu dem Verdacht geführt, dass kulturelle oder frühkindliche Erfahrungen die konkrete Verknüpfung der einzelnen Sinneseindrücke prägen könnten. Möglicherweise, so ihre Hypothese, beeinflussen farbige Spielzeuge, in der Kindheit erfahrene Geschmackserlebnisse oder der Anblick farbiger Buchstaben als Kühlschrankmagneten unbewusst die synästhetische Zuordnung: Wer als Kind ein rotes A am Kühlschrank kleben hatte, sieht es dann auch als Erwachsener rot leuchten.

Beeinflussen frühkindliche Erfahrungen die Ausprägung der Verknüpfung? © Kopfjäger / CC-by-sa 2.0

„Die individuellen Unterschiede zwischen Synästheten, selbst innerhalb von Familien, deuten darauf hin, dass entwicklungsbedingte Variation oder frühe Erfahrungen eine wichtige Rolle in der Festlegung der ausgebildeten Merkmale spielen“, räumt auch Kyle Barnett vom Trinity College in Dublin ein. Um diese Annahme zu testen, führten er und seine Kollegen eine weitere Studie durch. An insgesamt 64 Synästheten verglichen er und seine Kollegen die zugeordneten Farben bei verwandten, gemeinsam aufgewachsenen Personen und nicht verwandten. Wenn es eine Prägung gibt, so die Überlegung, dann müsste diese innerhalb einer Familie und vor allem bei Zwillingen sehr ähnlich wirken.

Doch genau dies bestätigte sich nicht: „Wir fanden keinen Unterschied in der Übereinstimmung zwischen diesen Gruppen“, so der Forscher. „Die Tatsache, dass Eltern-Kinder-Paare oder Geschwisterpaare, darunter auch eineiige Zwillinge, nicht häufiger in ihren Farben-Buchstaben-Zuordnungen übereinstimmten als nicht-verwandte Synästheten ist ein starker Indikator dafür, dass die spezifischen Verknüpfungen nicht direkt übertragen werden.“ Dass es einen – wie auch immer gearteten – Umwelteinfluss auf die genetische Veranlagung geben muss, scheint naheliegend. Wie dieser jedoch genau aussieht, ist aber bis heute ungeklärt.

Tiefe Töne und dunkle Farben werden auch von vielen Nicht-Synästhetikern als korrespondierend empfunden © SXC / Podbregar

Ein verborgener Synästhet in uns allen?

Nach Ansicht des Synästhesieforschers Jamie Ward von der Universität von Sussex könnte es für die Gemeinsamkeiten bei einigen Farbzuordnungen aber auch eine andere Erklärung geben, eine, die auch auf Nicht-Synästheten ein neues Licht wirft. Ihm war aufgefallen, dass die Synästhetin Dorothy Latham dazu neigte, tieferen Tönen dunklere Farben zuzuordnen und höheren hellere – ein auch für Nicht-Synästheten durchaus naheliegendes Ordnungsprinzip. Ähnliche Trends berichteten auch andere Studien an Musik-Synästheten. Ward führte daraufhin Tests an Nicht-Synästheten durch und fand auch dort bei vielen ähnliche Zuordnungsmuster.

Für Ward sind es dabei jedoch nicht die Synästheten, die möglicherweise durch Kultur oder Prägung in ihrer Zuordnung beeinflusst sind. Stattdessen sieht er auch in den vermeintlichen Nicht-Synästheten rudimentäre synästhetische Fähigkeiten: „Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass wir alle unter der Oberfläche Mechanismen besitzen, die Klang und Seheindruck verbinden. Und dass die Mechanismen bei Synästheten und anderen Menschen ziemlich die gleichen zu sein scheinen“, so Ward.

Mit dieser Ansicht knüpft Ward direkt an eine Vorstellung an, die bereits vor mehr als hundert Jahren absolut „en Vogue“ war…

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Nadja Podbregar
Stand: 06.05.2011

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Inhalt des Dossiers

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