Für die Mehrzahl der Organismen bedeutet ein Gefrieren das sichere Todesurteil: Die spitzen Eiskristalle, die in Geweben und Hohlräumen des Körpers wachsen, zerreißen die empfindlichen Wände der Zellen und lebenswichtigen Organe.
Spitzes Eis und osmotischer Schock
Zusätzlich zu diesen rein mechanischen Zerstörungen zieht die Eisbildung einen sogenannten „osmotischen Schock“ nach sich: Da nur reines Wasser als Eis auskristallisiert, reichern sich alle gelösten Stoffe in der restlichen Körperflüssigkeit an. Die Konzentration dieser Lösung steigt sehr schnell so stark an, dass der Körper quasi durch die eigenen Stoffwechselprodukte vergiftet wird. Gleichzeitig entzieht die hohe Salzkonzentration den Zellen zusätzlich Wasser, sie schrumpfen zusammen, die Zellmembran wird zerstört und wichtige, an die Membran gekoppelte Transportmechanismen fallen aus.
Dennoch – es gibt Tiere, die ein Gefrieren ihrer Körperflüssigkeit nicht nur überleben, sondern sich sogar regelmäßig jeden Winter aufs neue einfrieren lassen. Eine nordamerikanische Gallmückenart übersteht es sogar unbeschadet, wenn 65 Prozent ihrer Körperflüssigkeit gefroren sind.
Eiweiße für das „richtige“ Eis
Frösche im Norden Kanadas und eine Reihe von Insekten nutzen spezielle Proteine, sogenannte „Ice-Nucleating-Proteins“ um die Eisbildung gezielt zu steuern: Die Proteine fördern das Entstehen von vielen kleinen Eiskristallen in den extrazellulären Räumen des Körpers. Die Gefahr einer mechanischen Verletzung ist damit erheblich geringer.
Diese Eisbildung beginnt schon bei geringen Minusgraden und schreitet deshalb nur langsam fort – eine entscheidende Voraussetzung, um den gefährlichen osmotischen Schock zu vermeiden. Der Stoffwechsel kann sich so allmählich an das Erstarren der Körperflüssigkeit und an steigende Salzkonzentrationen gewöhnen. Die gefriertoleranten kanadischen Froscharten können auf diese Weise tiefgefroren Temperaturen bis –7 Grad schadlos überstehen, die nordamerikanische Gallmücke Eurosta solidaginis sogar bis –50 Grad.
Richtig gefrieren dank Glycerin
Eine völlig andere Strategie hat zum Beispiel die Puppe des Schwalbenschwanzes, einer auch in Mitteleuropa beheimateten Schmetterlingsart, realisiert: Dank des klassischen Frostschutzmittels Glycerin übersteht sie in eingefrorenem Zustand Temperaturen bis zu –30 Grad. Der mehrwertige Alkohol schützt sie bei diesen Temperaturen zwar nicht vor dem Gefrieren, er kann aber den osmotischen Schock ausgleichen. Das Glycerin verhindert nicht nur, dass den Zellen zuviel Wasser entzogen wird, es stabilisiert auch die sensiblen Zellmembranen.
Normalerweise sind die Membranproteine der Zellwände von einer schützenden Hydrathülle aus Wassermolekülen umgeben. Durch die Bildung der Eiskristalle geht diese Hülle verloren und die Struktur der Proteine wird instabil. Die Moleküle des Glycerins können die schützende Hydrathülle ersetzen, sie lagern sich an die ungeschützten Proteine an und verhindern so eine Zerstörung der Membranstrukturen. Ein weiterer Schutzeffekt des Glycerins beruht auf der Tatsache, daß Eiskristalle, die in hohen Glycerinkonzentrationen wachsen, stumpf sind – die Verletzungsgefahr für Zellwände und Gewebe ist dadurch erheblich geringer.
Tiefschlaf im Eis
Neben Glycerin und den „Ice-nucleating-Proteins“ nutzen einige Tiere auch bestimmte Zuckerverbindungen wie Trehalose, Glukose und Fruktose, um das Einfrieren zu steuern und die Form der entstehenden Eiskristalle zu beeinflussen. Wie die meisten gefriertoleranten Tiere senken auch die kanadischen Frösche während des Eingefrorenseins ihren Stoffwechsel radikal ab. Herz und Kreislauf stehen ihnen sogar ganz still, nur innerhalb der Gewebe wird ein schwacher Stoffwechsel mit Hilfe von Stärkereserven aufrechterhalten – gerade ausreichend, um bis zum Erwachen zu überleben.
Nadja Podbregar
Stand: 03.02.2012