Bei ihrer Expedition auf das dunkle Polarmeer hatten die Forscher aber nicht nur die Bewohner des Ozeans im Blick, sondern auch einen eher unfreiwilligen Gast: ein Schiffswrack. Erstmals nutzen die Wissenschaftler die Chance, mit Hilfe der modernen Tauchroboter und Kartierungsinstrumente, eines der vielen Wracks vor Spitzbergen näher in Augenschein zu nehmen.
Schiffsfriedhof im arktischen Meer
Allein im Sognfjord an der Nordspitze von Spitzbergen liegen allein 15 bekannte Schiffswracks auf dem Meeresgrund. Unter ihnen sind 13 niederländische Schiffe, die im Jahr 1683 durch in den Fjord driftende Eisschollen zerquetscht wurden und sanken. 1693 wurden zwei niederländische Walfänger durch französische Fregatten versenkt.
„Die Gesamtzahl der Schiffswracks könnte aber noch viel höher liegen“, erklärt der norwegische Archäologe Øyvind Ødegård. „Nicht von allen Schiffen gibt es Aufzeichnungen über ihr Schicksal.“ ER schätzt, dass zwischen Spitzbergen und Grönland sogar bis zu tausend Wracks auf dem Meeresgrund verborgen liegen könnten. „Wir wissen bisher nichts über diese Wracks, aber wir vermuten, dass sie wegen des kalten Wassers sehr gut erhalten sein könnten“, sagt Ødegård
Walfänger als Testobjekt
Das erste jetzt von den Forschern näher untersuchte Wrack ist jedoch deutlich jünger als die aus dem Sognfjord bekannten. Das 1908 gesunkene Walfangschiff Figaro soll sozusagen als Versuchsobjekt dienen, um auszuprobieren, wie später auch ältere Wracks schonend untersucht und dann erhalten werden können.
Die Wissenschaftler kartierten das Schiff unter anderem mit Hilfe eines ferngesteuerten Tauchroboters, der Instrumente zur sogenannten Hyperspektral-Bildgebung an Bord trug. Bei diesem Verfahren wird das Objekt in mehreren verschiedenen Wellenlängen gleichzeitig aufgenommen. Weil Holz, Stahl, Gold oder andere Materialien die Strahlen jeweils ein wenig unterschiedlich absorbieren und reflektieren, lässt sich anhand der Aufnahmen bestimmen, um was es sich genau handelt.
„Für die Untersuchung von Wracks ist dies eine völlig neue Methode“, erklärt Ødegård. „Wir sind noch dabei zu erforschen, wie sie am besten für archäologische Zwecke eingesetzt werden kann.“ Bisher sind die Forscher noch dabei, eine Datenbank der typischen Hyperspektral-Signaturen für verschiedene Wrack-Materialien zu erstellen.
Angriff der Schiffsbohrwürmer?
Möglicherweise aber bleibt den Wissenschaftlern weniger Zeit als ihnen lieb ist, um die Wracks des Nordpolarmeeres zu untersuchen und zu bergen. Denn bei ihrer letzten Expedition machten Geir Johnsen und seine Kollegen eine unliebsame Entdeckung: In einem 100 Jahre alten Stück Treibholz fanden sie einen Schiffsbohrwurm – eine Muschel, die sich von Holz ernährt und es bei massenhaftem Befall komplett zerstören kann.
Diese Muscheln aus der Familie der Terenidae sind so gut an ihre bohrende Lebensweise angepasst, dass sie auf den ersten Blick einem rundlichen Wurm ähneln. Nur die beiden stark verkleinerten Schalen an ihrem Kopfende, die sie wie zwei Bohrmeißel einsetzen, verraten ihre Muschelnatur.
Normalerweise kommen Schiffsbohrwürmer so weit nördlich im Nordpolarmeer nicht vor, weil ihnen das Wasser zu kalt ist. Doch die Biologen fürchten, dass der Klimawandel und das wärmer werdende Meerwasser es auch solchen Arten ermöglichen könnte, sich künftig weiter nach Norden auszubreiten. „Wenn dieser Schiffsbohrwurm tatsächlich die Folge des Klimawandels ist, dann läuft für uns die Zeit“, sagt Johnsen. Denn dann könnten die über Jahrhunderte konservierten Schiffswracks des Nordpolarmeeres in akuter Gefahr sein. „Dann müssten wir uns beeilen.“
Nadja Podbregar / Quelle: gemini.no
Stand: 03.06.2016