Zoologie

Timur gibt nicht auf

Mit Steinadlern auf Beizjagd in Österreich

Garaj und Timur © Alexander Binder

Falls Vladimir Garaj aufgeregt ist, lässt der Slowake sich nichts anmerken, denn sein Schützling darf keine Nervosität spüren. Timur ist ein sechs Monate altes Steinadler-Männchen, und an diesem Tag soll er lernen, wie ein Adler Hasen fängt. Noch sitzt der goldbraun gefiederte Greifvogel ruhig auf der linken Hand Garajs. Der trägt einen schweren Lederhandschuh, damit ihn die Krallen des Adlers nicht verletzen. Über den Kopf gestülpt hat Timur eine kleine Lederhaube, die seine Augen verdeckt. „So bleibt der Vogel ruhig und wird nicht abgelenkt,“ erklärt Garaj.

Jagdsaison im Winter

Ablenkung gäbe es genug. Denn Garaj ist gemeinsam mit acht anderen Falknern und deren Vögeln unterwegs. Aus Schottland, Frankreich, Belgien und Deutschland sind die Jäger nach Retz in Niederösterreich gekommen, für ein nicht ganz alltägliches Schauspiel: Eine Jagd mit Steinadlern.

Steinadler © Alexander Binder

Mit arroganter Gelassenheit lassen sich die Greifvögel aus ihren Transportkisten holen. Ab und zu flattert einer mit nervösem Flügelschlagen auf, wird jedoch am „Geschüh“, dem um die Adlerklauen gebundenen Lederriemen, vom Falkner zurückgehalten, um sich schließlich ruhig auf dem Handschuh zurechtzusetzen.

Niederösterreich ist eine ideale Gegend für die Beizjagd, die Jagd mit Greifvögeln. Anstelle von riesigen Feldern beackern die Bauern hier viele kleine, manchmal nur einen oder zwei Hektar große Schläge. Wie Handtücher reihen sich Weinstöcke, Sonnenblumen- und Kürbisfelder aneinander, durchbrochen von Hecken. Hier fühlen sich Feldhasen, ein typisches Beizwild, besonders wohl. Hasen gibt es hier noch so viele, dass sie von Oktober bis Mitte Januar begrenzt gejagt werden dürfen.

Als Jagdleiterin Monika Hiebeler ein Zeichen gibt, stellen sich die Falkner, ihre Vögel auf der Faust, am Rande eines Stoppelfelds in einer Reihe auf, jeweils mit ein paar Metern Abstand zum nächsten Mann. Dann setzt sich die Kette langsam in Bewegung.

Pech für Timur

Jagdglück © Alexander Binder

Nach einem schweigsamen Marsch durch die Stoppeln springt schräg vor Falkner Garaj plötzlich ein Hase auf und prescht davon. „Hase!“ ruft der Nebenmann. Und noch während Garaj den Ruf mit „Adler!“ erwidert und damit den anderen Falknern zeigt, dass sein Adler fliegt, zieht er Timur blitzschnell die Haube vom Kopf, und wirft den Vogel in die Luft. Timur segelt über das Feld, doch dann hält er einen kurzen Augenblick inne, um den Hasen zu suchen. Dieser Moment entscheidet den Kampf. Zwar stößt der junge Adler hinab, doch er verfehlt den Hasen. Timur will der Beute hinterher. Doch ehe der schwere Vogel sich wieder aufgeschwungen hat, ist der Hase längst entkommen.

„Auch Adler müssen üben,“ kommentiert Garaj den Fehlversuch. Dennoch ist er stolz auf Timur. Als Anfänger hat der seine Sache sehr gut gemacht. „Timur gibt nicht auf. Das ist wichtig, auch bei Adlern.“

Treu wie ein Hund, aber faul

Als Garaj den Vogel mit einem Pfiff ruft, kommt der gehorsam auf die Faust zurück. Jeder der Vögel habe eine eigene Persönlichkeit, ist er sicher. Und jeder baut eine enge Beziehung zu seinem Bezugsmenschen auf. Theoretisch könnten die Adler ja auch davonfliegen. Doch wenn sich schon der Jungvogel an einen bestimmten Menschen gewöhnt, „wird er anhänglich wie ein Hund,“ so Garaj.

„Steinadler sind von Natur aus faul,“ erklärt Monika Hiebeler. „In der Natur hocken sie fast den ganzen Tag auf einem höher gelegenen Ansitz und jagen nur, wenn die Beute sicher scheint. Eine Beizjagd, bei der sie ihren Flug von der Hand des Falkners starten, entspricht also ihrem natürlichen Verhalten“ Hiebeler, eine resolute Mittvierzigerin, betreibt gemeinsam mit ihrem Mann Josef einen Falknereibetrieb in der Nähe von Retz, nordöstlich von Wien.

Altes Hndwerk

Hier pflegen die Hiebelers das alte Handwerk, das in Europa seit dem Barock Tradition hat. Allerdings kommen dabei bis heute normalerweise nur kleine Greifvögel zum Einsatz – Wanderfalken, Gerfalken oder Habichte. Die Beizjagd selbst war Jahrhunderte lang ein Privileg des Adels. Heute dagegen kann jeder eine Falknerei-Prüfung ablegen. Und dabei geht es nicht nur um die Jagd, sondern vor allem um die richtige Pflege und Haltung der Vögel. Laut Josef Hiebeler ist die Falknerei „die beste Form, Greifvögel in Gefangenschaft zu halten.“ Denn weil die Vögel regelmäßig Freiflug erhielten und selbst jagen könnten, komme dies dem Leben der Vögel in Freiheit am nächsten, so der Adler-Experte.

Seit über 20 Jahren fährt Josef Hiebeler immer wieder nach Zentralasien. Hier, wo der Ursprung der Jagd mit dem Steinadler liegt, hat sich der Österreicher viel von den Adlermännern, den Berkutschi, abgeschaut. Mittlerweile züchtet Hiebeler selbst Jagd-Adler – für Falkner die einzige Möglichkeit, legal an einen Adler zu gelangen. 5.000 Euro kostet so ein Zuchttier. Etwa 50 Steinadler werden in Österreich von Falknern gehalten, schätzt Hiebeler. Dagegen gibt es noch etwa 1.000 wildlebende Steinadler-Brutpaare in den Alpen, davon etwa 300 in Österreich und 50 im Allgäu in Bayern.

Fairer Kampf

Der Unterschied der Beizjagd zu einer Jagd mit Schusswaffen ist für Monika Hiebeler offensichtlich. „Adler sind aufgrund ihres großen Gewichts Kurzstreckenflieger,“ erklärt. „Ähnlich wie Löwen müssen sie ihre Beute beim ersten Versuch fassen, sonst entkommt das Wild.“ Genau so groß, wie die Aussicht auf einen Jagderfolg für den Falkner, ist also auch die Chance für den Hasen, den tödlichen Klauen des Adlers zu entkommen. „Die Beizjagd ist ein fairer Kampf, wie er sich in der Natur täglich abspielt,“ so Hiebeler.

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Stand: 15.12.2006

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In den Schlagzeilen

Inhalt des Dossiers

Adler
"Take off" für den König der Lüfte

Der letzte Berkutschi
Eins mit dem Adler – ein Leben lang

Von echten und „unechten“ Adlern
Sprachverwirrung im Adler-Dschungel

Einmal um die ganze Welt ...
Auf Adlerschwingen über Kontinente

Verstorbener Riese
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Biblischer Mord im Adlerhorst
Der Überlebenskampf der Schreiadler

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