Selbst ein Superheld ist nicht perfekt. Das unscheinbare Phytoplankton spendet unserem Planeten zwar Leben in Form von Sauerstoff und Nahrung, doch es kann auch genauso gut Leben nehmen. Nämlich dann, wenn die Phytoplankton-Konzentration sprunghaft ansteigt. Man spricht dann von einer Algenblüte. Dieses Phänomen kann sehr gefährlich für Umwelt und Lebewesen sein und ist teilweise sogar aus dem Weltall sichtbar.
Im Normalfall Nährstoff-Segen
„Von den 5000 Arten des marinen Phytoplanktons können etwa 300 Arten zeitweise in so großer Zahl auftreten, dass sie die Meeresoberfläche offensichtlich verfärben“, schätzt Gustaaf Hallegraeff von der University of Tasmania. Diese Verfärbungen können zum Beispiel rot, mahagonifarben, braun oder grün sein und sind teilweise so massiv, dass sie selbst auf Satellitenbildern zu erkennen sind.
Algenblüten sind ein natürliches Phänomen, das meist in einem bestimmten Turnus auftritt. So blühen etwa die Kieselalgen der Deutschen Bucht stets im Frühjahr – als Reaktion auf die intensiver werdende Sonneneinstrahlung. Andere Arten entwickeln solche Massenvermehrungen eher im Hochsommer, wenn das Meerwasser wärmer und die Tage länger sind. Die Blüte endet, wenn das Plankton abstirbt. Das geschieht meist durch eine Kombination aus drei Faktoren: dem Phytoplankton gehen erstens die Nährstoffe aus, es wird zweitens von Viren befallen und drittens von Zooplankton abgeweidet.
Auf die Algenblüte folgt typischerweise eine sogenannte Bakterienblüte. Dabei bauen Bakterien die Überreste des abgestorbenen Planktons ab und setzen deren Nährstoffe in das Ökosystem frei. „Dieser Prozess ist zum Beispiel maßgeblich für den Fischreichtum vor Küsten“, schreibt das Max-Planck-Institut für Marine Mikrobiologie in Bremen. Die Bakterienblüte wiederum wird durch Viren und eukaryotische Einzeller namens Protozoen beendet.
Giftattacke aus dem Meer
Doch nicht immer verläuft eine Algenblüte harmlos. Manche Plankton-Arten produzieren gefährliche Gifte, die bei einer Massenvermehrung verheerende Auswirkungen haben. Im schlimmsten Fall führen sie zum Tod von Meerestieren, Vögeln und Säugetieren. Laut Wissenschaftlern um Kevin Sellner vom Chesapeake Research Consortium können sie unter anderem „Probleme mit den Atemwegen oder dem Verdauungstrakt, Gedächtnisverlust, Krampfanfälle, Läsionen und Hautreizungen“ verursachen.
Hallegraeff schätzt, dass 40 Plankton-Arten derart starke Gifte produzieren, dass sie über Fische und Muscheln ihren Weg bis hin zum Menschen finden. Dafür müssen die Mini-Algen nicht einmal in außergewöhnlich großer Zahl auftauchen. Bei manchen Arten reichen schon ein paar hundert Zellen pro Liter Meerwasser. So zum Beispiel bei der Art Dinophysis, die schon bei dieser geringen Konzentration beim Menschen Durchfall hervorruft, wenn wir damit „verseuchte“ Muscheln essen.
Bunte Sauerstoffdiebe
Doch um während der Blütezeit gefährlich zu werden, muss Phytoplankton nicht zwingend giftig sein. Manchmal reicht auch, dass es einfach in enormer Konzentration auftritt. Dann entziehen die Algen durch ihren intensiven Stoffwechsel dem Wasser Sauerstoff, wodurch Fische und andere Meeresbewohner ersticken. Das kommt auch dann vor, wenn Bakterien die bereits abgestorbenen Algen zersetzen und dabei Sauerstoff verbrauchen.
Die Wissenschaft geht davon aus, dass eine Algenblüte dieser Art erstmals in der Bibel erwähnt wurde. „Da verwandelte sich alles Nilwasser in Blut. Die Fische im Nil starben und der Nil stank, sodass die Ägypter kein Nilwasser mehr trinken konnten. Das Blut gab es in ganz Ägypten“, heißt es in Exodus 7, 20 – 21 über eine der sieben Plagen. Hallegraeff vermutet, dass damals eine eigentlich ungiftige, rötliche Algenblüte in so hoher Konzentration auftrat, dass sie dem Nil den Sauerstoff nahm und die Fische darin erstickten.
Hohe Verluste in der Aquazucht
Doch egal ob in biblischen oder modernen Zeiten: Algenblüten können große Schäden anrichten und diese Schäden sind mittlerweile größer als noch vor ein paar Jahrzehnten. Das hängt damit zusammen, dass wir Menschen das Meer immer stärker wirtschaftlich nutzen, indem wir darin zum Beispiel gezielt Fische oder Meeresfrüchte züchten.
Wenn eine Algenblüte eine solche Zuchtstätte befällt, tötet sie massenhaft Fische, die der Gefahr nicht davonschwimmen können, und vergiftet Meeresfrüchte wie Muscheln. In Chile verursachten Algenblüten im Jahr 2016 etwa ein Lachssterben mit Verlusten in Höhe von 800 Millionen US-Dollar. Gerade in Süd- und Mittelamerika kommen schädliche Algenblüten immer häufiger vor, wie eine Analyse von Hallegraeff und seinen Kollegen enthüllt.
Klimawandel und Abwasser im Verdacht
Ein Grund, warum giftige Algenblüten zunehmen, sind steigende Wassertemperaturen. In warmem Wasser fühlen sich nämlich vor allem toxische Arten wie Cyanobakterien wohl, die andere, harmlose Algen verdrängen. Bei der Erwärmung des Wassers spielt aber nicht nur der Klimawandel eine Rolle, sondern auch Phänomene wie El Niño – eine Zirkulationsanomalie, die etwa alle vier Jahre Meeresströmungen verändert. Dadurch steigt die Oberflächentemperatur vor der südamerikanischen Westküste an. Außerdem treiben in den Strömungen schädliche Algen nordwärts und vermehren sich dort.
Doch nicht nur in den Meeren werden giftige Algenblüten zunehmend zum Problem. Besonders schwer trifft es vor allem stehende Gewässer wie Seen. Dort führen die steigenden Wassertemperaturen außerdem dazu, dass sich die verschiedenen Wasserschichten nicht mehr richtig durchmischen können. Ohne diese Umwälzungen gewinnen giftige Cyanobakterien die Oberhand.
Ein dritter Faktor, der die Blüte von toxischen Algenstämmen begünstigt, ist die Überdüngung der Gewässer durch menschliches Abwasser. Das landete im Mitteleuropa des 20. Jahrhunderts in vielen großen Seen. Dort reicherte das Abwasser zuvor nährstoffarme Gewässer mit Nährstoffen an und schuf so ideale Bedingungen für das Massenauftreten von toxischem Phytoplankton.