Energie

Tödliche Terra inkognita

Uranlava, ein löchriger Sarkophag und viel Staub

Heute ist der zerstörte Reaktorblock 4 von Tschernobyl von außen nicht mehr zu sehen: Innerhalb weniger Monate nach dem Atomunfall wurde die strahlende Ruine in einen wuchtigen Sarkophag aus Stahl und Beton eingeschlossen. 300.000 Arbeiter setzten sich bei diesen Arbeiten und beim Wegräumen kontaminierter Trümmer teilweise enormen Strahlendosen aus.

Der Sarkophag von Tschernobyl im Jahr 2005 - er sieht nur äußerlich stabil und dicht aus. © Petr Pavlicek, IAEA / CC-by-sa 2.0

40 Prozent unbekannt

Aber die Gefahr ist damit noch lange nicht gebannt. Denn noch immer lagern mindestens 150 Tonnen des hochradioaktiven Kernbrennstoffs, verschmolzen mit Graphit und Beton, als erstarrte Masse am Grund des eingeschlossenen Reaktors. Weitere 30 Tonnen sind möglicherweise in der Ruine verteilt – wo weiß niemand.

Denn wegen der hohen Strahlung und der umherliegenden Trümmer sind nur rund 60 Prozent des Reaktors untersucht. Der Rest des ehemaligen Reaktorgebäudes ist eine Terra inkognita. Sie ist weder mit Robotern noch über andere technische Hilfsmittel zugänglich oder einsehbar. Was sich dort tut oder wie der Zustand der Ruine in diesen Gebäudeteilen ist, bleibt unbekannt.

„Tatsache ist, dass es noch riesige Mengen radioaktiver Stoffe dort gibt“, heißt es in einer aktuellen Greenpeace-Studie zum Thema. „Tatsache ist auch, dass die Probleme mit den Überresten des havarierten Reaktors dadurch verschärft werden, dass die Situation im Inneren nicht exakt bekannt ist.“

Strahlender Staub

Und auch der Sarkophag ist alles andere als dicht und sicher. Durch die zahlreichen Löcher und Ritzen in dem damals hastig errichteten Bauwerk dringt nach wie vor Radioaktivität nach außen. Messungen zufolge liegen die Werte, beispielweise für Cäsium-137, zwar unter den zulässigen Jahresgrenzwerten, es gibt aber immer wieder kurzzeitige, weit darüber liegende Belastungsspitzen.

Experten schätzen zudem, dass sich im Inneren des Sarkophags noch mindestens 1,5 Tonnen radioaktiven Staubs befinden – Tendenz zunehmend. Denn durch Zersetzungsprozesse an der Oberfläche der erstarrten Kernschmelze entsteht kontinuierlich neuer Staub. Seit 1990 versucht man, die umherwirbeln Partikel durch Besprühen mit Polymerlösungen zu binden. Doch dieses Staub-Unterdrückungssystem wirkt nur in Teilen.

  1. zurück
  2. |
  3. 1
  4. |
  5. 2
  6. |
  7. 3
  8. |
  9. 4
  10. |
  11. 5
  12. |
  13. 6
  14. |
  15. 7
  16. |
  17. weiter

Nadja Podbregar
Stand: 22.04.2016

Keine Meldungen mehr verpassen – mit unserem wöchentlichen Newsletter.
Teilen:

In den Schlagzeilen

Inhalt des Dossiers

30 Jahre Tschernobyl
Der größte Atomunfall der Geschichte, eine Ruine und die Folgen

Die Vorgeschichte
Eine Katastrophe bahnt sich an

Der Unfall
Der GAU ist nicht zu stoppen

Tödliche Terra inkognita
Uranlava, ein löchriger Sarkophag und viel Staub

Hochradioaktive Brühe
Die Tschernobyl-Ruine hat ein Wasserproblem

Koloss auf Schienen
Eine neue Schutzhülle für den Reaktor

In der "verbotenen Zone"
Gefahrenzone, Refugium und Forscherparadies in einem

Diaschauen zum Thema

News zum Thema

Tschernobyl: Wildtiere kehren zurück
Elche, Hirsche und Wölfe finden in der verstrahlten Sperrzone ein Rückzugsgebiet

Tschernobyl: Neue Welle der Radioaktivität?
Zunehmende Brände verteilen Radionuklide aus der Sperrzone über Europa

Tschernobyl: Vögel haben sich angepasst
Zellen produzieren mehr Schutzmoleküle gegen DNA-Schäden und Zellstress

Tschernobyl: Langzeitstudie bilanziert Krebsfolgen
Durch Strahlung verursachter Schilddrüsenkrebs ist zwar aggressiv, aber behandelbar

25 Jahre danach: Tschernobyl noch immer gefährlich
Greenpeace fordert Staatengemeinschaft auf, Bergung des Kernbrennstoffs angehen

Dossiers zum Thema

Uran - Wichtiger Rohstoff – strahlende Gefahr