Höhlenmalereien geben uns nicht nur einen faszinierenden Einblick in die Geisteswelt unserer Vorfahren, sie verraten auch einiges über die Umwelt, in der sie lebten. Gerade in jüngster Zeit haben sich Felsbilder als überraschend akkurate Quelle von Informationen beispielsweise über prähistorische Tiere entpuppt.
Das Rätsel der Tigerschecken
Ein Beispiel sind die berühmten gefleckten Pferde von Pech-Merle: An den Wänden dieser Tropfsteinhöhle in Südfrankreich haben unsere Vorfahren vor rund 16.00 bis 20.000 Jahren zahlreiche Wildpferde verewigt. Seltsamerweise sind viele dieser Pferde getüpfelt – ein Fellmuster, dass es nach gängiger Lehrmeinung bei Wildpferden damals noch nicht gab.
„Diese Pferdedarstellungen haben zu heftigen Debatten geführt“, erklärt Terry O’Connor von der University of York. „Weil der Fries auch Handumrisse und abstrakte Punktmuster enthält, weckte dies die Frage, ob auch die gefleckten Felle der Pferde eine symbolische oder abstrakte Bedeutung haben.“
Doch 2011 enthüllten Genanalysen fossiler Pferdeknochen Überraschendes: Unsere Vorfahren ließen offenbar keineswegs ihre Fantasie walten, wenn es um die Fellmuster der Wildpferde ging – im Gegenteil. Die Studie ergab, dass immerhin sechs von 35 prähistorischen Pferden Tigerschecken waren. „Dies spricht gegen eine symbolische Erklärung für die Pferdebilder. Die Menschen malten damals, was sie sahen“, sagt O’Connor. „Das spricht dafür, dass auch die steinzeitlichen Darstellungen anderer Tiere naturalistischer sein könnten als bisher angenommen.“
Zwei Bisons, zwei Arten
Ähnliches gilt für die in Höhlenmalereien besonders oft dargestellten Bisons. Sie tauchen in zwei verschiedenen Formen auf: Manchmal ist ein Tier mit langen Hörnern, einem mächtigen Vorderkörper und einem vorne deutlich höheren Rücken zu sehen. Andere Bilder zeigen einen Bison mit kurzen Hörnern, einem schlankeren Körper und einem weniger stark ausgeprägten „Buckel“. Das Seltsame daran: Gängiger Ansicht nach gab es bis zum Ende der letzten Eiszeit nur eine einzige Bisonart in Europa: den langhornigen Steppenbison (Bison priscus).
Aber auch hier erwies sich die Kunst der Steinzeitmenschen als korrekter als unsere Lehrmeinung: Im Oktober 2016 ergab eine Analyse fossiler Bisonknochen, dass das Europäische Wisent älter ist als gedacht. Diese kurzhornige, schlankere Bisonart existierte demnach schon während der Eiszeit. Unserer Vorfahren malten demnach immer die Bisonart, die gerade in ihrer Gegend häufiger vorkam.
Vulkanausbrüche verewigt
Höhlenmalerei kann sogar geologische Informationen vermitteln – wie beispielsweise in der Höhle von Chauvet. Neben Tierfiguren und Handabdrücken finden sich auf ihren Wänden auch einige abstrakte Formen, die bisher als rein symbolisch gedeutet wurden. Einige dieser Felsbilder ähneln sprühenden Fontänen, andere eher einem „W“ oder einem Schmetterling mit ausgefransten Flügeln.
Etwas völlig Anderes aber sehen der französische Geologe Sébastien Nomade und seine Kollegen in diesen Bildern: Sie glauben, dass unsere Vorfahren hier Vulkanausbrüche malten, die sich vor rund 30.000 Jahren unweit der Höhle ereigneten. „Es ist sehr wahrscheinlich, dass die damals an der Ardeche lebende Menschen eine oder mehrere dieser Eruptionen gesehen haben“, sagt Nomade. In der Grotte Chauvet könnte sie diese Eindrücke bildlich verewigt haben.
Nadja Podbregar
Stand: 04.11.2016