Nahtod-Erlebnisse sind Grenzerfahrungen – und ein großes Rätsel für die Wissenschaft. Viele Betroffene erleben sie als zutiefst spirituell und sehen in ihnen einen Beweis für die Existenz der menschlichen Seele. Forscher suchen dagegen meist nach einer rationalen Erklärung für dieses Phänomen – ob in der Psychologie, der Neurobiologie oder der Medizin.
In allen Zeiten und Kulturen
Nahtod-Erfahrungen sind kein Phänomen der Neuzeit: Schon seit Jahrhunderten berichten Menschen, die von der Schwelle des Todes zurückgeholt wurden, immer wieder von besonders intensiven Gefühlen und Erlebnissen. „Diese Nahtod-Erfahrungen sind weltweit aus allen Kulturen bekannt und werden meist als extrem lebensecht und fast schon ‚realer als real‘ beschrieben“, erklärt die Neurologin Jimo Borjigin von der University of Michigan.
Häufig treten diese Erfahrungen nach einem Herzstillstand auf, den ein Mensch dank Wiederbelebung überstanden hat. Vier bis zehn Prozent dieser Patienten berichten hinterher von einem Nahtod-Erlebnis. Aber auch ein schwerer, fast tödlicher Unfall, ein Selbstmordversuch, oder der Sauerstoffmangel beim Ertrinken scheinen solche Erlebnisse verursachen zu können.
Auch der englische Admiral Francis Beaufort durchlebte dies: Nachdem er im Jahr 1791 beinahe ertrunken wäre, berichtete er, dass er im Moment seines Fast-Sterbens eine nahezu perfekte Ruhe und Freude verspürte. Zudem schien sein vergangenes Leben noch einmal an ihm vorbeizuziehen: „Die ganze Periode meiner Existenz schien in einer Art Panorama vor mir ausgebreitet zu liegen“, so Beaufort.
Harmonie, Glück und ein helles Licht
Diese Lebensrückschau im Zeitraffer ist eines der klassischen Elemente, die in vielen Berichten von Nahtod-Erfahrungen auftauchen. Auch Freude, intensives Glück und ein Gefühl der allumfassenden Harmonie und Verbundenheit mit allem Sein sind häufig Teil der Erlebnisse. Einige Betroffene berichten zudem, dass sie in dieser „Zwischenwelt“ bereits gestorbene Verwandte oder auch Engel und andere übernatürliche Wesen treffen, die sie entweder zurück ins Leben schicken oder aber ins Jenseits hinübergeleiten wollen.
Ebenfalls häufig ist der fast schon sprichwörtliche dunkle Tunnel mit dem hellen Licht am Ende. Viele Betroffene berichten, dass sie dabei das Gefühl haben, auf dem Weg zu diesem Licht eine Schwelle oder Barriere überschreiten zu müssen. Mit Erreichen des Lichts würden sie das Reich der Lebenden endgültig verlassen, so ihr Eindruck. Auch Mauern, Vorhänge oder andere Grenzsymbole tauchen in bis zu 40 Prozent der Berichte auf.
Wenn der Geist über dem Körper schwebt
Ein weiteres klassisches Element ist die außerkörperliche Erfahrung. Dabei haben die Betroffenen meist das Gefühl, dass sich ihr Geist vom Körper löst und über diesem schwebt. Der schottische Chirurg Alexander Ogston, der im Jahr 1900 fast an einem Flecktypus-Fieberschub gestorben wäre, schilderte: „Geist und Körper schienen zweierlei und in gewisser Weise getrennt. Ich war mir meines Körpers als einer inerten und zusammengefallenen Masse auf dem Boden bewusst, er gehörte zu mir und doch wieder nicht. Ich spürte, wie mein mentales Selbst immer wieder den Körper verließ.“
Schilderungen solcher außerkörperlicher Erfahrungen gibt es sogar schon aus der Antike. So berichtet der griechische Philosoph Platon von einem Soldaten, der nach seinem vermeintlichen Tod auf dem Schlachtfeld wiedererwachte und eine solches Erlebnis beschrieb. Auch in der ägyptischen Mythologie und vielen anderen Religionen finden sich Schilderungen von Seelenreisen und Aus-dem-Körper-Treten, die ähnliche Aspekte aufweisen – wenn auch spirituell verbrämt.
Die Greyson-Skala
Um Nahtod-Erfahrungen besser einordnen und bewerten zu können, entwickelte der US-Psychiater und Neurologe Bruce Greyson in den 1980er Jahren einen Fragenkatalog, der bis heute genutzt wird. Die Greyson-Skala fragt 16 typische Elemente dieser Erlebnisse ab und ordnet je nach Ausprägung und Intensität jedem Element die Werte 0 bis 2 zu. Ab einer Punktzahl von sieben gehen Forscher von einem Nahtod-Erlebnis aus, im Mittel erreichen die Befragten 15 Punkte.
Was aber steckt hinter diesen Erfahrungen? Und wie real sind sie?