Schrilles Telefonklingeln schallt ungeduldig durch das Amt für Naturschutz in Hobart, Tasmanien bevor die Nachricht den leitenden Ranger Peter Mooney erreicht: 60 Grindwale sind gestrandet und über 150 weitere schweben direkt vor der Küste in Lebensgefahr! Es ist 10:30 Uhr am 25. Oktober 2005 in der Marion Bucht, als Mooney alle Wildhüter, Walschutzorganisationen und freiwillige Helfer alarmiert.
An dem Strand bietet sich den Wildhütern und der australischen Tiernotärztin Ingrid Albion ein Bild des Schreckens: Bewegungslos liegen mittlerweile etwa 70 schwarze Wale knapp oberhalb der Wellenlinie. Das Gewicht von gut drei Tonnen drückt die Wale hilflos in den weichen Sandstrand. Es ist das panische Zucken der winzigen kleinen Knopfaugen, das die Helfer aus ihrer Schreckensstarre weckt. Sie alle sind in „Erster Hilfe“ für Meeressäugetiere ausgebildet und wissen genau was zu tun ist.
Die Wale können ertrinken
Als erstes müssen die Tierschützer die Wale vor dem Austrocknen der Haut schützen. Hektisch füllt Naomi Daly deshalb mit anderen Helfern Eimer voll Meerwasser und installiert zwei Pumpen mit Schläuchen. Immer und immer wieder benetzen sie die Dickhäuter mit Wasser oder tränken große feuchte Tücher, die sie auf den Tieren ausbreiten. Es ist ein Kampf gegen die Sonne, die Wärme und den austrocknenden Wind bis die Flut so hoch kommt, dass die Grindwale wieder im Wasser liegen.
Einige der Wale haben jedoch Glück im Unglück, da sie noch von auslaufenden Wellen umspült werden. Das rettende Nass kann ihnen aber auch zur Todesfalle werden: Sie könnten ertrinken. Da Wale Säugetiere sind wie Menschen, haben sie keine Kiemen zum Atmen, sondern eine Lunge, die mit Luft durch das Blasloch auf dem Rücken versorgt wird. Da der massige Körper die Tiere auf dem Land jedoch in die Seitenlage zieht kann durch die Wellen jetzt Wasser in die Luftröhre fließen.
Mit Schwimmflügeln in die Freiheit
Normalerweise bildet Ingrid Albion Freiwillige zu Sanitätern für Wale aus, heute packt sie selbst mit an. Gemeinsam mit so vielen Helfern wie möglich greift sie zu und versucht die Grindwale mit dem Gewicht eines Lastwagens wieder auf den Bauch zu drehen. Bei den Tieren, die am nächsten am Wasser liegen greifen ihnen die Wellen sprichwörtlich unter die Arme. Sind die Wale erst einmal im Wasser bekommen sie an jeder Seite „Schwimmflügel“: weiße Luftröhren aus Gummi, die die Tiere wie in einem Schlauchboot ins tiefe Wasser bringen. Doch auch als den Helfern das Wasser schon bis zum Hals reicht, wagen sie noch nicht ihren Patienten frei zu lassen. Sein Orientierungssinn funktioniert nicht im flachen Wasser und die Gefahr ist zu groß, dass er den Weg ins offene Meer nicht findet. Erst als sich die Wildhüter mit mehreren kleinen Schlauchbooten hinter der Menschenkette versammelt haben, lassen die Helfer los. Die Boote treiben die wieder beweglichen Wale zum Ausgang der Bucht, damit sie dort ins tiefe Meer flüchten können. beweglich
Auch wenn sich ein Lächeln auf den ausgemergelten Gesichtern ausbreitet, ein richtiger Jubel kommt bei den Helfern nicht auf: Über 60 Grindwale liegen tot auf dem Strand. Die Helfer, Wildhüter und Wissenschaftler fragen sich – wie jedes Mal – Warum bloß schwimmen die Tiere so zielgesteuert in ihr eigenes Verderben? Doch für Fragen, Trauer oder Erschöpfung bleibt zunächst keine Zeit. Peter Mooney hat erneut Grindwale gesichtet. Ein weiteres Rudel hat sich in die Bucht verirrt, und acht Wale sind etwas weiter nördlich schon gestrandet. Es ist 18 Uhr 30 und in dieser Nacht werden noch mal 70 Tiere in der Marion Bucht in die Falle schwimmen und die Hilfsaktion wird die ganze Nacht um ihr Überleben kämpfen.
Doch die Massenstrandungen sind weder in der Marion Bucht, noch in Tasmanien ein Einzelfall. In den letzten zehn Jahren sind schätzungsweise 3.000 Grindwale auf der Insel gestrandet: mehr als die Hälfte aller Strandungen weltweit. Zusammen mit Australien und Neuseeland fallen sogar 90 Prozent der Katastrophen auf den Ozeanischen Raum. Aber auch auf der Nordhalbkugel sind diese Vorkommnisse seit Menschen Gedenken bekannt. Besonders wenn riesige Pottwale auf Deutschlands Strände schwimmen oder Große Tümmler zu hunderten auf den Kanaren an Land gespült werden erreicht auch uns die Frage: Wieso finden diese Wale nicht ihren vertrauten Weg? Weshalb stranden sie ausgerechnet hier? Warum sind es so viele auf einmal? Sind die Menschen daran schuld oder beobachten wir nur ein grausames natürliches Ritual?
Stand: 06.01.2006