Wir setzen unseren Ausflug in die Treibhauswelt der Cenomanzeit zu Wasser fort. Im Februar/März 2003 führte eine wissenschaftliche Ausfahrt des Bohrschiffes „Joides Resolution“ vor die Küste Surinams. Dort wurden etwa 200 Kilometer östlich von Surinam auf Höhe des Äquators Bohrkerne mit kreidezeitlichen Ablagerungen gewonnen. An fünf Punkten wurden umfangreiche Abfolgen mit hohen Anteilen an organischem Kohlenstoff erbohrt. Sie werden nun in Bochum, den USA, England, Frankreich und Japan geologisch, paläontologisch und paläoozeanographisch untersucht.
Bohrkerne geben Geheimnisse preis
Die bisherigen Ergebnisse zeigen in allen Bohrkernen etwa 30 bis 60 Meter dicke kohlenstoffreiche Abfolgen aus der Cenoman- und Turonzeit. Paläotemperaturdaten wurden über das Verhältnis der beiden stabilen Sauerstoffisotope 18 O und 16 O an gut erhaltenen Kalkschalen von heterotrophen, das heißt sich von organischem Material ernährenden, Einzellern – Foraminiferen – von der Bundesanstalt für Geowissenschaften in Hannover ermittelt. Warmes Wasser enthält weniger 18 O als kaltes, so dass das Verhältnis der in die Schalen eingebauten Isotope Rückschlüsse auf die Wassertemperatur erlauben.
Dabei ergaben sich Temperaturen von 24 bis 28°C für die Foraminiferen, die am Meeresboden lebten, 30 bis 32°C für die des Oberflächenwassers. Diese Befunde belegen nun generell sehr hohe Wassertemperaturen für den Äquatorbereich in der Cenomanzeit und nur wenig unterschiedliche Temperaturen für das Boden- und das Oberflächenwasser. Die hohen Bodenwassertemperaturen lassen sich durch die Bildung von warmen, salzreichen Tiefenwässern bei hoher Verdunstung in dieser Region erklären.
Das bereits in Wunstorf eingesetzte „Archaebakterienthermometer“ belegt zudem Oberflächenwassertemperaturen von bis zu 36°C für die kohlenstoffreichen Lagen der Bohrkerne der späten Cenomanzeit. Diese Beobachtungen liegen damit deutlich über den heutigen Werten für den äquatorialen Atlantik, die 27 und 29°C betragen. Klimamodellierungen auf der Basis der Paläotemperatur- und paläobiologischen Daten für die CO2-Konzentrationen in der Cenoman- und Turonzeit liegen bei 600 bis 2.400 ppm (parts per million, 1 ppm = 0,0001 Prozent), also deutlich höher als heute (365 ppm).
Krokodile nördlich des Polarkreises
Global herrschten in der Cenoman- und Turonzeit somit über einen Bereich, der vom Äquator bis 40° N, das heißt in Höhe des heutigen Madrid, reichte, tropisch-warme Klimabedingungen. Die hohen Temperaturen führten zu intensiver Verdunstung und feucht-warmen Bedingungen; Polkappen existierten nicht. Das Temperaturgefälle vom Äquator zu den Polen war mit 35°C – 35°C am Äquator, 0°C am Pol – in der Cenomanzeit deutlich geringer als heute mit 75°C – 25°C am Äquator, -50°C am Südpol. Es herrschten also global aus geglichene Verhältnisse; aus Nordalaska (75° bis 85°N) sind cenomanzeitliche Floren (Farne, Ginkgos, Koniferen, Blütenpflanzen) dokumentiert. Auch Krokodilfunde aus dem Bereich nördlich des Polarkreises belegen diese Vorstellung.
Ein extrem hoher Meeresspiegel, über 200 Meter höher als heute, verursachte eine großräumige Überflutung der flachen Küstenregionen. Im Gegensatz zu den heutigen ozeanischen Strömungssystemen mit warmen, vom Äquator nach Norden bzw. Süden gerichteten Oberflächenströmen wie den Golfstrom und von Nord nach Süd – Arktis > Antarktis – beziehungsweise von Süd nach Nord – Antarktis > Äquator – ausgerichteten kalten Tiefenströmungen herrschte wohl ein genau entgegen gesetztes Strömungssystem, das vom Äquator ausging.
Träge Meeresströmungen
Hier bildeten sich aufgrund der hohen Temperaturen und der starken Verdunstung salzreiche Wässer. Diese sanken aufgrund ihres hohen Gewichtes in die Tiefe und flossen vom Äquator in nördliche und südliche Richtung zu den Polen. Bei hohen CO2-Konzentrationen war die Ozeanzirkulation insgesamt eher träge, bei reduziertem Wasseraustausch erfolgte dann die Ablagerung der kohlenstoffreichen Gesteine.
Die marine Lebenswelt reagierte auf diese Bedingungen mit großer Vielfalt bei gleichzeitig geringer Individuenzahl. Kosmopolitische Elemente, das heißt weltweit verbreitete Arten, dominierten. In der Ökologie werden solche Verhältnisse als stabile Gleichgewichtsbedingungen bezeichnet. In den Ozeanen blühen pflanzliche und tierische kalkschalige Einzeller wie Coccolithophoriden und Foraminiferen auf, die zu weiträumiger Kalkablagerung auch in den mittleren Breiten führten.
Welche Bedeutung hat nun das kreidezeitliche Szenario für die heutige beziehungsweise die zukünftige Welt? Können wir die beschriebenen Lebensbedingungen aus der Treibhauswelt der Kreidezeit auf die Zukunft unseres Planeten übertragen?
Stand: 27.04.2007