Evolution

Überlebende der Apokalypse

Aus Schwein wird Spitzmaus

Südafrika vor 251 Millionen Jahren: Warme, trockene Winde treiben Wolken von Sandkörnern über eine karge, steinige Landschaft. Durch dieses wüstenartige Land streift ein ungewöhnliches Tier. Es ist etwa so groß wie ein Schwein, besitzt zwei Stoßzähne und einen Schnabel – und beherrscht die Welt.

Das Tier mit Namen Lystrosaurus ist einer der wenigen Überlebenden des fatalen Massenaussterbens am Ende des Perm. In seiner postapokalyptischen Welt gedeiht der zu den Therapsiden gehörende Säugetiervorfahre wie sonst kaum ein anderes Tier. Tatsächlich ist Lystrosaurus zu dieser Zeit das häufigste Landwirbeltier der Erde.

Lystrosaurus
Lystrosaurus war einer der großen Gewinner des Massenaussterbens. © Dmitry Bogdanov/CC-by-sa 3.0

Vom Jäger zum Gejagten

„Der Erfolg von Lystrosaurus wurde verschiedentlich auf seine generalistische Ernährung aus zähem Pflanzenmaterial, seine breite Lebensraumtoleranz, seine grabende Lebensweise, seine ungewöhnlichen Wärmetoleranzen und seine entwicklungsgeschichtlich plastische Wachstumsstrategie zurückgeführt, die es ihm ermöglichte, extreme Ökosysteminstabilitäten zu überstehen“, erklären Forschende um Zoe Kulik von der University of Washington.

Es sah also gar nicht mal so schlecht aus für unsere Vorfahren, doch der Erfolg hielt nicht lange an. Sobald die Erde wieder zu einem habitableren Ort geworden war, erhoben sich neue Weltenherrscher: große Reptilien und auch die ersten Dinosaurier. Dieses Zeitalter der Reptilien überlebte nur eine einzige Linie von Therapsiden: die Cynodontia. Alle anderen sind im Laufe des Erdmittelalters ausgestorben – auch jene Gruppe, zu der Lystrosaurus gehörte.

In den Schlagzeilen

Inhalt des Dossiers

Wie Säugetiere die Welt eroberten
Zeitreise zurück zu unseren Ur-Ur-Ahnen

Willkommen im Sumpf
Zu Besuch bei den frühesten Säugetiervorfahren

Die Ära der nackten „Hunde“
Von Synapsiden zu Therapsiden

Überlebende der Apokalypse
Aus Schwein wird Spitzmaus

Im Schatten der Dinosaurier
Eine Erfolgsgeschichte im Verborgenen

Diaschauen zum Thema

Dossiers zum Thema

Leben im Schatten

„Cynodontia traten erstmals im späten Perm auf und waren meist durch kleine Taxa mit Schädellängen unter zwölf Zentimeter vertreten“, erklären João Felipe Leal Kaiuca von der staatlichen Universität in Rio de Janeiro und seine Kollegen. „Während der frühen bis mittleren Trias, als sich die terrestrischen Ökosysteme vom Massenaussterben am Ende des Perms erholten, diversifizierten sich die Cynodontia dann stark und bildeten unterschiedliche Größen aus.“

Morganucodon
Morganucodon ähnelte einer modernen Spitzmaus. © FunkMonk (Michael B. H.)/CC-by-sa 3.0

Dennoch blieben davon zu Beginn der späten Trias vor etwa 235 Millionen Jahren fast nur noch kleine Cynodontia übrig, vielleicht weil sie anpassungsfähiger waren, wie Kaiuca und seine Kollegen vermuten: „Kleine Cynodontia-Arten reagierten wahrscheinlich weniger empfindlich auf Veränderungen des Klimas und der Fauna als größere Arten – wie die heutigen kleinen Säugetiere.“ In ihrer miniaturisierten Form konnten die Cynodontia außerdem besser den gefräßigen Reptilien ihrer Zeit aus dem Weg gehen.

Die Cynodontia waren wahrscheinlich auch die ersten Säugetiervorfahren, die von Fell überzogen waren und auch schon Schnurhaare besaßen. Darüber hinaus halten es einige Paläontologen für möglich, dass diese hundeähnlichen Therapsiden bereits eine Form von Milch für ihren Nachwuchs produzieren konnten. Damit waren die Cynodontia modernen Säugetieren einen weiteren großen Schritt näher gekommen.

Ein Kiefer, der seinesgleichen sucht

„Wahren“ Säugetieren zum Greifen nah waren aber erst die sogenannten Mammaliaformes, die sich im Laufe der späten Trias aus den Cynodontia entwickelt haben. Die ältesten unter ihnen erinnern an moderne Spitzmäuse und wären zumindest auf den ersten Blick kaum von ihnen zu unterscheiden gewesen. Dazu zählt der rund zehn Zentimeter lange, wahrscheinlich insektenfressende Morganucodon, der vor etwa 200 Millionen Jahren lebte.

Morganucodon-Schädel
Der Kiefer von Morganucodon war noch kein typischer Säugetierkiefer. © Hemiauchenia

Das kleine Tier hatte die für Säugetiere typischen unterschiedlich geformten Zähne, war warmblütig, trug Fell und säugte wahrscheinlich schon seine Jungen. Doch ein entscheidendes Säugetiermerkmal fehlte noch: der typische Säugetierkiefer. „Die Evolution des Säugetierkiefers ist eine der wichtigsten Innovationen in der Geschichte der Wirbeltiere“, erklären Stephan Lautenschlager von der University of Birmingham und sein Team. „Der Säugetierkiefer und sein Kiefergelenk sind einzigartig unter den Wirbeltieren.“

Anders als zum Beispiel bei Reptilien besteht unser Unterkiefer aus einem einzigen Knochen und nicht aus mehreren. Gleichzeitig sind Teile des ursprünglichen Kiefers ins Ohr gewandert, wo sie die Gehörknöchelchen Hammer, Amboss und Steigbügel bilden. Der Kiefer von Morganucodon aber sieht nur in Ansätzen so aus. Zwar besitzt er schon ein säugetiertypisches Kiefergelenk, aber gleichzeitig auch einen Satz „Reptiliengelenke“. Außerdem besteht sein Unterkiefer noch aus mehreren Knochen.

Säugetier oder nicht?

Ob diese Merkmale Morganucodon nur zu einem säugetierähnlichen Tier oder zu einem der ersten Säugetiere machen, darüber sind sich Paläontologen nicht einig. Manche fassen die Säugetierdefinition weiter und zählen sogar noch ältere Spezies zu den ersten Säugetieren, andere hingegen fangen erst Millionen Jahre nach Morganucodon an, von Säugetieren im eigentlichen Sinne zu sprechen. Als eine Art Kompromiss ist bei Morganucodon und seinen Verwandten daher häufig die Rede von Ur-Säugern oder frühen Säugetieren.

Und diese frühen Säugetieren lebten in einer gefährlichen Welt: der Welt der Dinosaurier…

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