Gerade einmal zwölf Jahre ist es her, dass Paläontologen der Universität Erlangen-Nürnberg eine sensationelle Entdeckung machten: An den Kontinentalrändern des kalten Nordatlantiks sowie der Barents-See fanden sie Riffstrukturen, die bislang nur aus den warmen und lichtdurchfluteten Flachwassermeeren der subtropisch-tropischen Klimazone bekannt waren. Von Norwegen bis nach Spanien erstreckt sich im lockeren Verbund ein Korallengürtel, der mit einer Länge von 4.500 Kilometern das bekannte australische Great Barrier Reef um weit mehr als das Doppelte übertrifft.
Lichtscheue Gesellen
„Die Vorkommen der Kaltwasserkorallen, die wir im letzen Jahr vor Nordnorwegen erkundeten, waren viel größer als wir bisher angenommen haben“, erklärt Christian Dullo, Professor für Paläo-Ozeanographie am IFM-GEOMAR, dem Leibniz-Institut für Meereswissenschaften an der Universität Kiel. „Mit Hilfe des Tauchboots JAGO konnten wir die Ausmaße und die vorkommenden Arten erstmals viel besser bestimmen“, so Dullo. Das Unterwasserfahrzeug bietet Platz für zwei Wissenschaftler und hat sich im Einsatz schon des Öfteren bewährt, beispielsweise bei der sensationellen Entdeckung des Quastenflossers vor einigen Jahren.
Solche Tauchgeräte sind für die Erforschung der Kaltwasserkorallen unerlässlich, da sie bevorzugt in einigen hundert Metern Tiefe leben. Vor der Küste Neuenglands im Nordatlantik konnten die Überlebenskünstler sogar noch in einer Meerestiefe von 3.300 Metern nachgewiesen werden. Damit unterscheiden sich die beiden dominierenden Arten, Lophelia pertusa und Madrepora oculata, erheblich von ihren tropischen Verwandten. Denn diese sind auf das Sonnenlicht als Energielieferant angewiesen und siedeln daher stets in den wärmedurchströmten Flachwasserbereichen mit einer maximalen Wassertiefe von 100 Metern.
„Tiefwasser-Riffe haben neben 'Schwarzen Rauchern' und Schlammvulkanen eine neue Runde der geo-biologischen Meeresforschung eingeleitet“, ordnet André Freiwald die wissenschaftliche Bedeutung der Kaltwasserkorallen ein. So hat ihre Entdeckung gezeigt, dass die Meere noch erheblich mehr Überraschungen zu bieten haben, als bislang vermutet. Eigentlich kein Wunder, denn die Kontinentalränder als Heimat der Kaltwasserkorallen sind größtenteils noch weiße Flecken auf den Forscherlandkarten. Insgesamt gelten sogar nur zehn Prozent des Meeresbodens als kartiert – weitaus weniger, als von der Oberfläche des Mondes bekannt ist.
Stand: 07.07.2006