Warum gehen Spermienkonzentration und -qualität bei Männern immer weiter zurück? Bisher ist es Forschenden nicht gelungen, diese „Spermienkrise“ auf einen einzigen Grund herunterzubrechen. Sie vermuten stattdessen, dass eine Reihe von Ursachen – äußere wie innere – eine Rolle spielen könnten.
Die Vielzahl möglicher Einflussfaktoren ist auch dadurch begründet, dass Spermien anders als die Eizellen der Frau nicht schon bei der Geburt angelegt sind, sondern ständig neu produziert werden. Ihre Bildung ist daher anfällig für äußere Einflüsse – von der Ernährung bis hin zum alltäglichen Kontakt mit verschiedenen Chemikalien. Unter anderem deshalb gelten Spermien in der Medizin auch als wichtiger Marker für die Gesundheit eines Mannes.
Pestizide als Spermienkiller
Ein Faktor, der die Spermien und somit die Fruchtbarkeit erheblich beeinflussen kann, sind Pestizide, wie Yu-Han Chiu von der Harvard School of Public Health in Boston mit seinen Kollegen herausgefunden hat. In ihrer Studie besaßen jene Männer, die viel pestizidbelastetes Obst gegessen hatten, durchschnittlich 49 Prozent weniger und nur noch 32 Prozent normalgebildete Spermien. Bereits anderthalb Portionen belastetes Obst pro Tag reichten aus, um diesen Effekt zu erzielen.
Eine toxische Welt
Und auch viele andere Chemikalien, mit denen wir tagtäglich in Kontakt kommen, wirken sich möglicherweise ähnlich aus. So hat eine Forschungsgruppe um Christian Schiffer vom Center of Advanced European Studies and Research in Bonn etwa herausgefunden, dass hormonell wirksame Chemikalien, sogenannte endokrine Disruptoren (kurz EDCs), die Spermienqualität beeinträchtigen können. EDCs kommen in unzähligen Produkten des Alltags vor, von Sonnencreme, Zahnpasta und Plastikflaschen bis hin zu Textilien, Kosmetika und Spielzeug. Sie werden unter anderem als UV-Blocker, Weichmacher und Fracking-Zusatz eingesetzt.
Schiffer und seine Kollegen haben im Reagenzglas insgesamt 111 EDCs an Spermien getestet. 30 dieser Chemikalien schädigten die Samenzellen und das bereits bei Konzentrationen, die deutlich unter den Mengen liegen, die immer wieder in unserem Körper gemessen werden. Hinzu kommt, dass Mischungen aus mehreren EDCs, wie sie wahrscheinlich auch in unserem Blut vorkommen, die Spermienqualität noch aggressiver herabsetzen.
Geschickte Tarnung
Konkret behindern die Chemikalien das Schwimmverhalten der Spermienzellen und führen dazu, dass sich ein spezieller Kalzium-Kanal in ihrer Membran verfrüht öffnet. Dadurch setzen die Spermien die Enzyme frei, mit deren Hilfe sie normalerweise die Schutzhülle der Eizelle durchdringen. Selbst wenn es ein solches EDC-geschädigtes Spermium also bis zur Eizelle schaffen würde, könnte es sich nicht mehr mit dieser vereinen und somit auch kein Kind zeugen.
Diese Kaskade der Unfruchtbarkeit in Gang zu setzen, gelingt ECDs wahrscheinlich, indem sie ähnlich wie das weibliche Geschlechtshormon Progesteron auf den männlichen Körper wirken. Zumindest konnten Forschende diesen Effekt bei neun UV-Filtern in gängiger Sonnenmilch beobachten. Indem die Spermien vermeintlich auf Progesteron treffen, wähnen sie sich möglicherweise in der Nähe der Eizelle und beginnen deshalb mit der Freisetzung spezieller Enzyme, obwohl es dafür eigentlich noch viel zu früh ist.
Zwischen Blei und Abgasen
Die Liste mit spermienschädigenden Chemikalien ist lang. Studien zufolge vergrößern zum Beispiel in Folien und Tapeten enthaltene Phtalate den Spermienkopf, während Schwermetalle wie Blei und Arsen DNA-Schäden in den Spermienzellen verursachen. Mit Schwefel- und Stickstoffdioxid verschmutzte Luft wiederum stört die Bildung neuer Spermien.
Besonders von diesen negativen Auswirkungen betroffen sind Männer, die sich tagtäglich Abgasen aussetzen. „Bei Arbeitern an der Autobahnmautstelle ist die Gesamtbeweglichkeit der Spermien im Vergleich zu anderen Männern, die im selben Gebiet leben, signifikant geringer“, berichten die indischen Forscher Naina Kumar und Amit Kant Singh in einer Übersichtsarbeit.
Heiße Hoden
Neben Chemikalien und Umweltgiften kann aber auch die Temperatur einen negativen Einfluss auf die männliche Fruchtbarkeit haben. Damit sich gesunde neue Spermien bilden können, muss die Temperatur des Hodens zwei bis vier Grad unter der Temperatur der Körpermitte liegen. Steigt die Hodentemperatur nur um ein Grad an, kann sich das bereits negativ auf die männliche Fruchtbarkeit auswirken, wie Studien gezeigt haben.
Die Hoden können unter anderem dann zu warm werden, wenn man zu enge Unterwäsche trägt oder es in der Umgebung sehr heiß ist, zum Beispiel an einem sonnigen Sommertag oder in einem überhitzten Büro. Dieser Logik folgend kann auch die mit dem Klimawandel einhergehende globale Erwärmung die Spermienkrise weiter befeuern, wie Kumar und Singh erklären.
Als Mann ist es demnach kaum möglich, sich von all den Risikofaktoren in der Umwelt fernzuhalten, die die eigene Spermienqualität verschlechtern können. Doch es gibt auch eigenverschuldete Gründe für abnehmende Fruchtbarkeit.