Das Geheimnis der unbegrenzten Lebenszeit des Süßwasserpolypen sind seine Stammzellen. Aus diesen Alleskönnern entsteht der Zellnachschub – als Ersatz für Defektes, aber auch um die Knospen für die ungeschlechtliche Vermehrung zu bilden.
Wie bei den meisten Tieren gibt es auch bei der Hydra verschiedene Stammzell-Linien. Die sogenannten epithelialen Stammzellen kommen in der inneren und der äußeren Körperwand (Ento- und Ektoderm) vor und bestimmen die Gestalt des Polypen. Sie bilden Muskelfasern, scheiden verschiedene Stoffe aus, bilden die Knospen und nehmen Nahrung auf. Der zweite Typ sind die interstitiellen Stammzellen. Sie liegen zwischen den Zellen von Ento- und Ektoderm im sogenannten Interstitium. Diese Stammzellen sind ebenfalls multipotent – ihnen stehen verschiedene zelluläre Entwicklungsmöglichkeiten offen. Mehr als die Hälfte von ihnen wird zu neuen Stammzellen, der Rest bildet Drüsen-, Nerven- oder Nesselzellen.
Körperzellen altern, Keimzellen nicht
Aus den interstitiellen Stammzellen entstehen auch die Keimzellen – die Zellen aus denen die neue Generation hervorgehen soll. Wenn sich ein Tier entwickelt, werden normalerweise diejenigen Zellen, die den Körper bilden – die somatischen Zellen – von den Keimzellen separiert. Diese Trennung von Soma und Keimbahn ist äußerst wichtig, denn in den Körperzellen können sich im Laufe eines Lebens Genveränderungen anhäufen. Zudem verkürzen sich die Enden der Chromosomen, die sogenannten Telomeren, bei jeder Zellteilung. Ist eine kritische Länge unterschritten, können sich die somatischen Zellen nicht mehr geordnet teilen: sie altern und sterben.
Die Keimbahnzellen hingegen sind vor Alterung geschützt. Sie besitzen ein spezielles Enzym, die sogenannte Telomerase, die die Enden der Chromosomen nach jeder Zellteilung wieder verlängert. Das bedeutet: Normalerweise können sich nur die Keimbahnzellen über Generationen hinweg unbeschadet vermehren und sind letztlich unsterblich.
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Bei Hydra aber ist das anders: Soma- und Keimbahnzellen sind bei ihr nicht streng voneinander getrennt. Sowohl Stammzellen wie auch die Keimbahnzellen besitzen dadurch bei ihr ein unbegrenztes Potenzial, zu wachsen. Experimente zeigten kürzlich, dass Keimbahnzellen zwar kontinuierlich aus interstitiellen Stammzellen hervorgehen, sie können sich aber ebenfalls noch unbegrenzt teilen. Die Forscher vermuten, dass für diese unbegrenzte Reproduktionsfähigkeit ähnliche Mechanismen verantwortlich sind wie die, die Keimzellen davor schützen, zu altern.
Strenge Wachstumskontrolle
Und noch eine Besonderheit gibt es: Weil epitheliale und interstitielle Stammzellen sich bei der Hydra ständig vermehren, muss das Gleichgewicht beider Zelltypen ständig reguliert werden. Würden beide unkontrolliert wachsen, würde der Zelhaushalt des Polypen schnell aus der Balance geraten. Doch die Hydra hat eine sehr effektiv arbeitende Wachstumskontrolle. Aus den überschüssig produzierten interstitiellen Zellen bilden sich zwar verschiedene andere Zelltypen, Tumore und entartetes Wachstum wie bei anderen Organismen kennt der Polyp aber nicht.
Wie die verschiedenen Stammzelllinien von Hydra miteinander kommunizieren und das Wachstum kontrollieren, ist allerdings noch wenig verstanden. Man kennt beispielsweise kleine Eiweiße, die von Nerven- und Epithelzellen gebildet werden und eine regulatorische Rolle spielen könnten. Auch die Umgebung, die sogenannte Stammzellnische, ist für die Wachstumskontrolle wichtig: Erst die Stammzellnische ermöglicht das Gleichgewicht von Teilung und Differenzierung.
Thomas Holstein / Ruperto Carola, Universität Heidelberg
Stand: 02.11.2012