Biokampfstoffe als Verzweiflungswaffe?
Aber gesetzt den Fall, Saddam Hussein hat nach wie vor Biowaffen zur Verfügung – würde er sie auch einsetzen? Und wenn ja, in welchem Falle und mit welchem Ziel? Nach Ansicht vieler Experten könnte eine Gefahr vor allem dann drohen, wenn Saddam Hussein sich und sein Regime akut gefährdet sieht und „mit dem Rücken zur Wand“ steht.
Brent Snowcroft, offizieller Berater für nationale Sicherheit der USA während des Golfkriegs 1991 warnte Bush bereits im August 2002 vor einem solchen Fall: „Die USA könnten das irakische Militär sicherlich besiegen und Saddams Regime stürzen. Aber Saddam würde dann wahrscheinlich beschließen, er habe ohnehin nichts mehr zu verlieren. Das könnte dazu führen, dass er – was auch immer er an Massenvernichtungswaffen besitzt – einsetzt.“ Und auch der Wüstensturm-General Norman Schwarzkopf hält inzwischen einen Krieg gegen den Irak aus genau diesem Grund für zu riskant: „Wenn wir jetzt im Irak einmarschieren und das Hussein-Regime ist nahe an einem Sturz, dann bin ich sehr, sehr besorgt, das die Irakis Massenvernichtungswaffen einsetzen könnten.“
Bioterror als Erpressung?
Doch nicht nur die US-amerikanischen Militärs sind besorgt, auch in Deutschland, Gr0ßbritannien und bei anderen Verbündeten der USA geht die Angst um. Sicherheitsgremien, Gesundheitsbehörden und Antiterroreinheiten fürchten im Falle eines Irakkriegs terroristische Vergeltungsakte im eigenen Land – möglicherweise auch mit biologischen Kampfstoffen. Wie realistisch sind diese Befürchtungen? Mit dieser Frage hat sich unter anderem auch Avigdor Haselkorn beschäftigt, Berater des U-Verteidigungsministeriums und Fachmann für strategische Analysen. Seiner Ansicht nach könnte Saddam Hussein sogar bewusst auf eine Strategie der Erpressung mithilfe von Bioterrordrohungen setzen.
Es sei ein Fehler, anzunehmen, der Irak brauche hochentwickelte Waffen- oder Ausbringungssysteme und waffenfähige biologische Kampfstoffe, um ernsthaften Schaden anzurichten. Auch wenn Hussein nicht für die Anthrax-Anschläge 2001 in den USA verantwortlich war, so seien ihm die Auswirkungen sicherlich nicht entgangen: „Schon nach westlichen Standards primitive Methoden haben dabei gezeigt, das sie ausreichen, um tiefgreifend in gesellschaftliche und ökonomische Prozesse einzugreifen.“ Und genau dies könnte, so Haselkorn, das Hauptziel Husseins sein: „Schreckliche Szenarien von infizierten Selbstmordattentätern, die eine Pockenepidemie in Amerikas Großstädte tragen, sind nicht länger bloße Science-Fiction.“
Die Drohung Husseins, den Terror im Kriegsfalle in das Territorium des Feindes zu tragen, ist zudem beileibe nicht neu: Noch kurz vor seiner Invasion Kuwaits im Jahr 1990 drohte Saddam Hussein in einem Treffen mit dem amerikanischen Botschafter in Bagdad: „Wir wissen, dass ihr uns schaden könnt. Aber wir können euch auch schaden. (…) Wir können nicht den ganzen Weg bis in die Vereinigten Staaten kommen, aber einzelne Araber können dies.“
Und im September 2002 erneuerte der irakische Vizepräsident Taha Yassin Ramadan in einer Pressekonferenz diese Drohung: „Alle arabischen Bürger, wo immer sie auch sein mögen, haben das Recht die Aggression mit allen verfügbaren Mitteln zu bekämpfen.“
16. Januar 2003