Aus der fernen Vergangenheit ergeben sich spannende Fragen für die Gegenwart, finden die beiden Paläontologen Friedemann Schrenk und Ottmar Kullmer: Sie planen Forschungsprojekte zum Altern des menschlichen Gebisses, in dem sie untersuchen, wie das Gebiss biologisch auf die Abnutzung der Zähne reagiert – indem sie aus dem Kiefer herausgeschoben werden zum Beispiel oder sich nach vorne schieben – und wie Zahnbehandlungen in diesen Prozess einzugreifen versuchen. Auch die langfristigen Auswirkungen von immer mehr Kaiserschnitten wollen sie erforschen.
Die Motivation dahinter erklärt Schrenk so: Heute ist die von Darwin beschriebene Evolution, nach der Organismus die höchsten Chancen zur Fortpflanzung hat, der am besten an seine Umwelt angepasst ist, in vielen Teilen der Welt durch eine kulturelle Evolution abgelöst: Aus den ersten Steinwerkzeugen, die Homo rudolfensis herstellte, sind zahllose Werkzeuge und Maschinen geworden, ohne die wir nicht überleben könnten. Um die wachsende Bevölkerung zu ernähren, haben wir auf leicht aufschließbare Stärke umgestellt. Und die Tage verbringen wir heute überwiegend sitzend, was sich auf unsere Körper auswirkt.
Zweite Heimat Malawi
Der Mittelpunkt der Forschung werden jedoch die Fossilien in Malawi bleiben, das für Schrenk zu einer zweiten Heimat geworden ist und wohin auch der Unterkiefer wieder (einmal) zurückkehren wird, sobald das neue Nationalmuseum in Malawis Hauptstadt Lilongwe seine Pforten öffnet. Und wo Schrenk auch über seine paläontologische Forschungsarbeit hinaus vielfältig aktiv ist, in der Bildung von Schülerinnen und Schülern Studierenden und Promovierenden.
Schrenk engagiert sich auch in Form von Beratungen der Malawischen Regierung zu Bergbau und Wasserkraftnutzung, in Form von populärwissenschaftlichen Vorträgen in der Region und in der Gründung eines Vereins in Deutschland, der – so der Verein über sich – „die Menschheitsgeschichte dort vermitteln will, wo sie entstanden ist – in Afrika“.
Die Uraha-Stiftung, benannt nach dem Dorf, in dessen Nähe der Unterkiefer gefunden wurde, setzt sich zusammen mit zahlreichen Unterstützern für den Bau eines Museums in der Distrikthauptstadt Koronga ein, wo das „Cultural and Museum Centre“ 2004 eröffnet wird. Unter dem Motto „From Dinosaurs to Democracy“ spannt die Museumsausstellung heute den Bogen von der geologischen Vorgeschichte der Region Karonga über die Zeit der Dinosaurier (mit einem spektakulären Malawisaurierskelett), die ersten Hominiden (einschließlich eines Abgusses des Unterkiefers von Homo rudolfensis), die Ansiedlung des Ngonde-Volks, die Zeit von Sklavenhändlern und Missionaren bis zur Unabhängigkeit Malawis, der Diktatur und heute der Demokratie.
Zu Gast bei „Radio Dinosaur“
Zehn Jahre später, im Jahr 2014, nimmt auch der Community-Radiosender „Radio Dinosaur“ seinen Betrieb auf. Raymond Mwenifumbo, verantwortlich für Projektleitung und Fundraising beim Sender, erklärt: „Radio Dinosaur ist ein Bildungssender. Unsere Themen sind etwa Gesundheit, Landwirtschaft und Nachrichten aus verschiedenen Teilen des Distrikts, und wir senden – anders als die nationalen Radiosender – hauptsächlich in den lokalen Sprachen Kyangonde und Chitumbuka. 60 Prozent unserer Hörerinnen und Hörer können weder lesen noch schreiben, also schicken uns manche Menschen Briefe, die sie nicht verstehen und die wir dann im Radio vorlesen.“
Einmal im Monat ist auch Friedemann Schrenk im Programm des Bildungssenders zu hören: per Telefon aus Deutschland oder – am liebsten – vor Ort, im Studio in Karonga. Denn immer wieder geht es im Programm natürlich um die Frühgeschichte Malawis, wenn zum Beispiel Schrenk oder Timothy Bromage im Programm sind oder wenn der Paläontologe und Senior Curator des Cultural and Museum Centre, Harrison Simfukwe, mit einem Priester der African Church über die Ursprünge des Lebens diskutiert.