Ebenfalls 2009 dämpfte ein weiterer Befund die Euphorie der Stammzellforscher – oder mahnte zumindest zur großen Vorsicht. Denn er zeigte, dass selbst körpereigene, völlig unmanipulierte Stammzellen degenerieren können, wenn sie längere Zeit in Kultur gehalten werden. Das entdeckte Dario Furlani vom Referenz- und Translationszentrum für kardiale Stammzelltherapien(RTC) der Universität Rostock, als er für seine Doktorarbeit mesenchymale Stammzellen untersuchte. Diese Zellen sind nicht reprogrammiert, sondern werden auch bei Erwachsenen noch an einigen Stellen des Körpers gebildet.
Heilungshelfer aus Nabelschnur und Knochenmark
„Diese Untergruppe findet man bei erwachsenen Menschen im Knochenmark, im Fettgewebe, aber auch in Nabelschnurblut“, erklärt der Forscher. „MSCs lassen sich recht einfach in Zellkultur vermehren und können problemlos gelagert werden.“ Außerdem sind diese Stammzellen noch multipotent und können sich zu Knochen, Nerven, Knorpel, Skelett- oder Herzmuskeln entwickeln. Sie gelten daher als einfache und unproblematische Alternative zu aufwändig hergestellten reprogrammierten Stammzellen. Im Rahmen von klinischen Studien werden im Labor gezüchtete MSCs auch bereits für Therapien beispielsweise gegen Herzerkrankungen am Menschen getestet.
Furlani und seine Kollegen stellten nun fest, dass diese vermeintlich unproblematischen mesenchymalen Stammzellen bei der Kultivierung im Labor eine gewisse Kreativität entwickeln: „Wir haben die Kulturen genau analysiert und neben originalgetreuen Kopien der Ausgangszellen auch Zellen mit verändertem Aussehen, mit anderer genetischer Ausstattung, instabilen Chromosomen und weiteren Mutationen gefunden“, erklärt der Forscher.
Was aber passiert, wenn diese mutierten Stammzellen für eine Therapie verwendet werden? Furlani sortierte die unterschiedlichen Zellen und überprüfte im Tierversuch deren Wirkung auf erkranktes Herzgewebe. Es zeigte sich, dass zwar keine unerwünschten Nebenwirkungen auftraten, aber, im Vergleich zu normalen MSCs, auch kaum ein therapeutischer Effekt. Bevor im Labor vermehrte Stammzellen für eine Therapie eingesetzt werden, müsse daher auf jeden Fall die äußere Oberfläche, die Anzahl der Chromosomen und die Stoffwechselgeschwindigkeit dieser Zellen genauestens analysiert werden, wenn man einen Therapieerfolg garantieren wolle, warnt Furlani.
Reprogrammiert und darum weniger effektiv?
Die Reprogrammierung von Zellen könnte zudem oft weniger effektiv sein als gewünscht: Studien haben gezeigt, dass induzierte pluripotente Stammzellen eine Art Gedächtnis besitzen: Sie können sich an den Zelltyp erinnern, aus dem sie ursprünglich hervorgegangen sind. Dadurch können sie zwar nach ihrer Reprogrammierung im Prinzip alle Gewebetypen bilden, oft aber schlagen sie ihren Lieblingsweg ein – den, der zu den Zellen führt, aus denen sie einst hervorgegangen sind.
Schuld daran sind, wie Forscher 2010 entdeckten, vermutlich einige Gene, die bei der Reprogrammierung entweder aktiv bleiben oder aber wieder angeschaltet werden. „Im Moment wissen wir noch nicht, ob sich dieses Stammzellgedächtnis auf mögliche medizinische Behandlungen auswirkt und welche Art Stammzellen für eine Therapie am besten geeignet ist“, sagt Katharina Wolfrum vom Max-Planck-Institut für molekulare Genetik.
Indizien im Fruchtwasser
Sie und ihre Kollegen stießen darauf, als sie Zellen aus dem Fruchtwasser von Schwangeren in Stammzellen umwandelten. Der Vorteil dieser Methode: Fruchtwasserzellen werden routinemäßig bei vorgeburtlichen Untersuchungen gewonnen, um mögliche Erkrankungen früh zu entdecken. Dabei werden meist mehr Zellen isoliert, als tatsächlich benötigt werden. Zudem enthält das Fruchtwasser eine Mischung verschiedener Zellarten des ungeborenen Kindes, darunter auch stammzellähnliche Zellen.
„Möglicherweise können solche Zellen aus dem Fruchtwasser deshalb schneller und einfacher reprogrammiert werden, als andere Zelltypen. Dies macht Fruchtwasser-iPS-Zellen zu einer interessanten Ergänzung“, erklären die Forscher. Zudem könnten kranke Neugeborene durch dieses Verfahren mit körpereigenen Zellen behandelt werden.
Nadja Podbregar
Stand: 13.09.2013