Als sogenannte Kulturfolger sind Ratten überall da, wo wir sind. Kein Wunder, denn mit unseren Abfällen bieten wir ihnen zahlreiche Leckerbissen und mit Kanalisation, Kellern und Speichern außerdem ein Dach über dem Kopf. Eine inoffizielle Faustregel besagt, dass auf jeden Menschen eine Ratte kommt. Für Berlin würde das bedeuten, dass dort zwischen zwei und sechs Millionen Nager in einer urbanen WG mit ihren menschlichen Mitbewohnern leben.
Abgehärtet für das Stadtleben
Wie kaum ein anderes Wildtier haben Ratten sich auf das Leben in der Nähe des Menschen angepasst. Das ist selbst an ihren Genen ablesbar. So hat eine Analyse ergeben, dass Stadtratten auffallend viele Gensequenzen besitzen, die sie gegen das Leben in der Großstadt „abhärten“. Sie machen die Ratten unter anderem resistenter gegen Stress, Schadstoffe und Gift. Mittlerweile gibt es sogar ganze Rattenpopulationen, die immun gegen gängige Gifte geworden sind, weil nur noch jene Individuen leben, die den Kontakt mit dem Gift überlebt und diese Resistenz an ihre Nachkommen weitergegeben haben.
Und selbst wenn ein Gift tödlich für Ratten ist, gelingt es ihnen meist, die Gefahr zu umschiffen. Fällt nämlich eine Ratte nach dem ersten Bissen eines Giftköders tot um, warnt das die verbliebenen Tiere, woraufhin sie sich von dem Köder fernhalten. Mittlerweile müssen Schädlingsbekämpfer daher etwas tiefer in die Trickkiste greifen. Zum Beispiel indem sie Gifte einsetzen, die erst Wochen nach der Aufnahme zum Tod führen. So können die anderen Ratten keinen Zusammenhang mehr zwischen einer Nahrungsquelle und ihrer Tödlichkeit ziehen.
Pizza und Kekse als Leibgericht
Im Genom städtischer Ratten finden sich außerdem spezielle Anpassungen, die den Tieren dabei helfen, die fett- und zuckerhaltige Nahrung der Menschen gezielt aufzuspüren und besser zu verdauen. Im Internet kursiert beispielsweise ein Video, in dem eine als „Pizza Rat“ bekannt gewordene Ratte ein Stück Pizza hinunter in die New Yorker U-Bahn schleppt.
Doch obwohl Ratten eine Vielzahl hochverarbeiteter Lebensmittel vertragen und als gierige Allesfresser gelten, sind die Nagetiere verhältnismäßig wählerisch. Sie fressen am liebsten, was sie bereits kennen und womit sie aufgewachsen sind. So berichten New Yorker Schädlingsbekämpfer beispielsweise immer wieder davon, dass sich manche Ratten am ehesten mit Oreo-Keksen oder Pizzastücken in die Falle locken lassen – abhängig davon, in welcher Gegend die Tiere aufgewachsen sind.
Rattenparadies Deutschland
New York ist jedoch bei weitem nicht der einzige Ort auf der Welt, an dem Ratten sich wohlfühlen. Von den mehr als 50 bekannten Rattenarten sind auch zwei in Deutschland heimisch: die bis zu 20 Zentimeter lange, schwarze Hausratte (Rattus rattus) und die bis zu 50 Zentimeter lange, bräunliche Wanderratte (Rattus norvegicus). Während Hausratten am liebsten vegetarisch essen und es sich gerne an warmen, trockenen Plätzchen wie Dachböden gemütlich machen, sind Wanderratten auch fleischlicher Kost nicht abgeneigt und fühlen sich stattdessen im Untergrund und in Wassernähe pudelwohl.
Kein Wunder also, dass sich die hervorragenden Schwimmer nahezu magisch von unseren Kanalsystemen angezogen fühlen. Dort haben sie alles, was sie brauchen. Diese ungewöhnliche Lebensweise hat ihnen allerdings auch den Ruf der schmutzigen, keimbelasteten Kanalratte eingebracht.
Blinde Passagiere erobern Europa
Hierzulande kommen Hausratten im Vergleich zu Wanderratten deutlich seltener vor. Unter anderem, weil die von ihnen bevorzugten Dachgeschosse oft nicht mehr als Vorrats- oder Abstellraum dienen, sondern zu Wohnraum umfunktioniert wurden. Doch eigentlich waren es die Hausratten, die vor rund 2.000 Jahren als Erste den Schritt nach Europa gewagt haben, 1.800 Jahre vor den Wanderratten. Von Südostasien aus folgten sie dem Verlauf der Seidenstraße als blinde Passagiere in Handelsgütern und drangen so zunächst in den Mittelmeerraum vor. An Bord römischer Wagen und Schiffe gelang den Hausratten dann schließlich der Sprung in den Rest Europas.
Jedoch nicht unbedingt zur Freude der Menschen, denn die Ratten bedienten sich ungeniert an ihren Lebensmittelvorräten und halfen außerdem dabei, eine der tödlichsten Seuchen der Menschheitsgeschichte zu verbreiten: die Pest.