Neutrinos sind die häufigsten Elementarteilchen überhaupt und gleichzeitig die geheimnisvollsten. In jeder Sekunde rasen 100 Billionen dieser winzigen Partikel mit annähernd Lichtgeschwindigkeit durch unseren Körper – ohne dass wir auch nur das Geringste davon spüren. Die Erde und alles Leben auf ihr wird Tag und Nacht und aus allen Richtungen von Neutrinos bombardiert – und doch finden sich davon kaum Spuren. Selbst massiver Stahl, Blei oder sogar Diamant sind für die „Geisterteilchen“ kein Hindernis. Aber warum? Was macht die Neutrinos so geisterhaft unfassbar?
Einer der Gründe ist die fehlende Ladung der Geisterteilchen: Neutrinos sind elektrisch neutral, sie reagieren weder auf elektrische noch auch magnetische Kräfte in ihrer Umgebung. Und genau darin unterscheiden sie sich von den Grundbausteinen aller Materie, den Atomen. Denn diese werden im Prinzip erst durch die elektromagnetischen Kräfte in ihrem Inneren zusammengehalten: Sie sorgen dafür, dass die negativ geladenen Elektronen um den positiv geladenen Atomkern kreisen und machen unsere Materie überhaupt erst spürbar:
Festigkeit ist bloße Illusion
„Alle festen Dinge um uns herum sind nichts als eine Illusion“, erklärt der Teilchenphysiker Ben Still das Phänomen. Denn 99,99999 Prozent der vermeintlich so stabilen festen Materie bestehen aus nichts als leerem Raum – dem Raum zwischen den kreisenden Elektronen und dem Atomkern. Der Kern selbst macht nur 0,000001 Prozent des Atomvolumens aus. Der Rest ist Leere, die nur durch die elektromagnetischen Kräfte zwischen Kern und Elektronen stabilisiert wird. „Eine Oberfläche fühlt sich für unsere Hand nur deshalb stabil an, weil die Elektronen der Oberfläche die Elektronen der Atome in unserer Hand abstoßen“, erklärt Still.
Ein Neutrino ist dagegen für diese Art der Wechselwirkung blind. Es reagiert einzig auf die schwache Kernkraft – die Kraft, die den Atomkern zusammenhält. Doch diese Kraft wirkt nur in unmittelbarer Nähe des Kerns. „Damit ein Neutrino überhaupt reagiert, muss es genau mit diesen 0,000001 Prozent der Materie zusammenstoßen und selbst dann kann es noch passieren, dass nichts passiert“, sagt Still. Kein Wunder also, dass die Existenz des Neutrinos lange Zeit bloße Theorie blieb.