Anatolien gilt heute nicht gerade als Nabel der Welt. Im zentralen Teil der Türkei gibt es kaum größere Städte, die Landschaft ist geprägt von eher trockenen Hochebenen und Steppenlandschaft und Gebirgen. Nur in einigen Gebieten verändern von Flüssen durchzogene, fruchtbare Ebenen das Bild. Kein Wunder also, dass der Osten Kleinasiens lange Zeit auch in der Archäologie eher eine untergeordnete Rolle spielte. Wenn es um frühe Hochkulturen oder gar die Wiege der Zivilisation ging, richteten sich die Blicke der Forscher eher ein Stück weiter östlich, ins benachbarte Zweistromland.
Nach und nach aber haben Ausgrabungen in Kleinasien enthüllt, dass sich gerade in Anatolien entscheidende Schritte unserer frühen Geschichte abgespielt haben. Denn hier schufen Menschen schon in der Steinzeit gewaltige Monumente, die allem Vergleichbaren um Jahrtausende voraus waren. In Göbekli Tepe, dem „bauchigen Hügel“ in Südostanatolien, ragen beispielsweise zehn Tonnen schwere, mit zahlreichen Tierfiguren verzierte Steinpfeiler mehr als sieben Meter in die Höhe. Zusammen mit ringförmigen Geröllmauern bilden sie insgesamt 20 Steinkreise – errichtet bereits vor 10.000 bis 12.000 Jahren – so alt ist kein anderes bisher bekanntes Steinzeit-Monument.
Eine der ältesten Siedlungen
Auf der Hochebene Anatoliens, knapp 40 Kilometer südöstlich der Stadt Konya, liegt ein weiteres Zeugnis der früheren Blüte dieser Region: Çatalhöyük. Unter zwei Hügeln versteckt, entdeckte dort bereits Anfang der 1960er Jahre der britische Archäologe James Mellaart eine steinzeitliche Siedlung. Seit den 1990er Jahren werden hier systematische Ausgrabungen durchgeführt – und sie enthüllten Erstaunliches. Denn der Ort bestand zeitweilig aus 400 bis 1850 Häusern. Bis zu 2.500 Menschen müssen hier einst gleichzeitig zusammengelebt haben.
Die Siedlung aus eng aneinander stehenden Lehmhäusern gehört zudem zu den ältesten der Welt: Die in 18 Grabungsschichten gefundenen Gebäude stammen aus der Zeit zwischen 7.400 und 6.200 vor Christus. Die jungsteinzeitlichen Bewohner von Çatalhöyük müssen ihre Siedlung errichtet haben, kurz nachdem sie anfingen, sesshaft zu werden und Einkorn, Emmer und andere Pflanzen anzubauen. Der Ort für die Siedlung war dabei gut gewählt: Denn obwohl das umgebende Hochland eher karg ist, sorgt rund um Çatalhöyük der ausgedehnte Schwemmfächer eines Flusses für fruchtbaren Boden und auseichend Wasser.
Der Ort und seine Funde geben daher einen einzigartigen Einblick in den Übergang unserer Vorfahren von Jägern und Sammlern zu sesshaften Ackerbauern. Einer der Gründe, warum die UNESCO Çatalhöyük im Jahr 2012 in die Liste der Weltkulturerbe-Stätten aufnahm.
Nadja Podbregar
Stand: 15.11.2013