Die vielen Höhlen der Schwäbischen Alb machten dieses Gebiet zu einem wichtigen Refugium für unsere Vorfahren. Schon während der Eiszeit suchten die Steinzeitmenschen hier Schutz, verzehrten ihre Jagdbeute und schnitzten einige der frühesten Kunstwerke der Menschheitsgeschichte. Davon zeugen aufsehenerregende Funde vor allem aus den Höhlen im Ach- und Lonetal am Südrand der Alb. Sechs dieser Höhlen wurden Anfang Juli 2017 ins UNESCO-Weltkulturerbe aufgenommen.
Die Eiszeit-Venus
Besonders berühmt ist die Venus vom Hohle Fels. Diese rund 40.000 Jahre alte, aus Mammutelfenbein geschnitzte Frauenfigur ist eine der ältesten Menschendarstellungen der Welt. Vor ihrer Entdeckung im Jahr 2008 kannte man zwar Tierfiguren aus der Kulturstufe des Aurignacien, nicht aber Abbildungen von Frauen. Die prähistorische Venus ist daher eine echte Sensation.
Die nur rund sechs Zentimeter große Figur stellt eine Frau mit üppigen Brüsten und gerundetem Bauch dar, möglicherweise war sie eine Art Fruchtbarkeitssymbol. Seltsam allerdings: Die Statuette hat keinen Kopf. Stattdessen ist über ihren breiten Schultern ein sorgfältig geschnitzter Ring angebracht. Obwohl er verwittert ist, scheint er besonders glatt geschliffen zu sein – möglicherweise ist dies ein Hinweis darauf, dass diese Figur als Anhänger getragen wurde.
Mammutfigur und Löwenmensch
In der Vogelherdhöhle im Lonetal haben Archäologen besonders kunstvolle Tierfiguren aus der Eiszeit entdeckt, darunter mehrere aus Elfenbein geschnitzte Mammuts und Löwen. Mit einem Alter von gut 35.000 Jahren gehören sie zu den ältesten und beeindruckendsten Beispielen figürlicher Kunst der Eiszeit.
Obwohl diese Figuren nur wenige Zentimeter groß sind, haben ihre Schöpfer die typischen Merkmale dieser Tiere verblüffend gut eingefangen. Bei den Mammuts sind dies der gewölbte Rücken, die kräftigen Beine und der dynamisch geschwungene Rüssel. Ein geschnitzter Löwe scheint mit seinem nach vorn gerecktem Hals und langgestrecktem Körper gerade auf der Jagd zu sein. Auffällig auch: Viele der Tierfiguren sind zusätzlich mit eingeritzten Kreuzen und Linien verziert.
Aus der benachbarten Stadelhöhle stammt der berühmte Löwenmensch, ein Mischwesen aus Mensch und Höhlenlöwe. Diese Figur wurde vor 35.000 bis 40.000 Jahren ebenfalls aus einem Mammutstoßzahn geschnitzt.
Flöten aus Knochen und Elfenbein
Die Bewohner der Alb-Höhlen waren nicht nur künstlerisch begabt, sondern auch musikalisch. Das belegen zahlreiche Funde von Flöten und Flötenfragmenten. In der Vogelherdhöhle stießen Archäologen vor Kurzen auf das rund 40.000 Jahre alte Fragment einer Flöte, das aus dem Knochen eines Gänsegeiers geschnitzt war.
Noch etwas älter sind mehrere Flöten aus Mammut-Elfenbein, die Forscher in der Geißenklösterle-Höhle entdeckten. Um sie herzustellen, benötigten die Steinzeitmenschen erhebliches Geschick. Denn der Elfenbein-Rohling musste dafür gespalten, ausgehöhlt und dann wieder möglichst nahtlos zusammengefügt werden – und dies ohne dass das empfindliche Elfenbein brach.
„Die einzigartigen Fundstätten auf der Schwäbischen Alb zeigen, dass die Wiege der Kunst und der Musik im Ach- und Lonetal zu finden ist“, erklärte der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann anlässlich der Aufnahme der Albhöhlen in das UNESCO-Weltkulturerbe. „Von dort stammen Nachweise der ersten menschlichen Versuche, Tiere und Menschen figürlich darzustellen und sogar Musikinstrumente zu erschaffen. Dies stellte einen kulturellen Durchbruch und Fortschritt sondergleichen dar.“
Nadja Podbregar
Stand: 21.07.2017