Vancomycin galt lange Zeit als „Mittel der letzen Wahl“ gegen schwere Krankenhausinfektionen. Denn das Antibiotikum wirkt auch gegen Keime, die Beta-Lactamasen produzieren und damit bereits resistent gegen Penicilline sind. Sein Schutz vor diesen bakteriellen Abwehrtricks beruht darauf, dass Vancomycin nicht am Bindeprotein der Bakterien ansetzt, sondern direkt an freien Aminosäure-Enden im Molekülnetz der Zellwand. Durch seine Anlagerung verhindert es eine Quervernetzung und erzeugt Löcher, die letztlich zum Platzen der Bakterienzellen führen.
Enterokokken werden resistent
Aber 1987 wurde auch diese Waffe stumpf: Ärzte entdeckten die ersten Vancomycin-resistenten Enterokokken (VRE). Diese gramnegativen Bakterien hatten in ihrer Zellwand eine Aminosäure durch einen Zucker ersetzt und verhinderten so effektiv das Andocken des Antibiotikums. Inzwischen gelten mehr als 90 Prozent aller in amerikanischen Intensivstationen isolierten Stämme von Enterococcus faecium als mindestens zweifach resistent: Die normalerweise gegen Sepsis und Herzbeutelentzündungen verabreichte Kombination aus Vancomycin und dem Penicillin Ampicillin wirkt bei ihnen nicht mehr.
Doch es sollte noch schlimmer kommen. Denn auch wenn Vancomycin gegen gramnegative Erreger wie Enterokokken oder Escherichia coli zunehmend wirkungslos wurde, war es noch immer die beste Waffe gegen den multiresistenten Krankenhauskeim Staphyolococcus aureus. Das grampositive Bakterium gehört zu den ersten Krankheitserregern, die das Abwehrenzym Beta-Lactamase gegen Penicillin entwickelten und damit gegen diese Wirkstoffgruppe unempfindlich wurden. Nach ihrer fehlenden Reaktion auf das Testantibiotikum Methicillin auch als methicillin-resistenter Staphylococcus aureus (MRSA) bezeichnet, haben sie sich seither extrem ausgebreitet. Heute sind bereits 70 bis 80 Prozent aller in Proben nachgewiesenen MRSA-Stämme immun gegen zahlreiche Beta-Lactam-Antibiotika.
50.000 MRSA-Opfer jährlich allein in Europa
Für Gesunde meist unschädlich, besiedeln die kugelförmigen Mikroben Haut und Schleimhäute von bis zu 30 Prozent aller Menschen. Bei immungeschwächten Patienten jedoch können die durch eine Kapsel vor Fresszellen des Immunsystems geschützten Bakterien schwere Hautinfektionen, Lungen- und Herzentzündungen sowie das Toxic-Shock-Syndrom auslösen. Breitet sich der Erreger in großer Menge über das Blut in Organen und Geweben aus, ist seine Bekämpfung schwierig, die resultierende Sepsis endet häufig tödlich.
Allein in den USA sterben nach Angaben der CDC jährlich rund 18.000 Menschen an einer Krankenhausinfektion mit MRSA, in Europa sind es rund 50.000. Für Deutschland existieren unterschiedliche Zahlen, es sind aber wohl mindestens 1.500 Todesfälle pro Jahr.
„Vancomycin ist das Antibiotikum der letzen Wahl und wird nur dann gegeben, wenn alle anderen Behandlungen versagen“, erklärt Gerry Wright, Professor für Biochemie und biomedizinische Forschung an der kanadischen McMaster Universität. „Jahrelang dachte man, dass sich dagegen nur sehr langsam eine Resistenz entwickeln würde, weil Vancomycin auf so ungewöhnliche Art wirkt. Aber mit dem verbreiteten Einsatz des Mittels gegen Infektionen durch den Krankenhaus-Superkeim MRSA haben wir ein schweres klinisches Problem bekommen.“
Der Super-GAU
Wie schwer dieses Problem ist, zeigte sich im Juli 2002. Ärzte stellten bei einer 40-jährigen Frau aus Michigan erstmals einen MRSA-Stamm fest, der auch gegen Vancomycin resistent ist. Die Patientin war seit Monaten wegen Nierenproblemen und einem Geschwür am Bein immer wieder ambulant und stationär behandelt worden, hatte zuletzt wegen einer schweren MRSA-Infektion auch mehrere Wochen lang Infusionen mit Vancomycin erhalten. Nachdem sich keine nennenswerte Wirkung zeigte, nahmen die Mediziner Proben aus einer Beinwunde und einem Katheterzugang und analysierten die darin gefundenen Bakterienkulturen. Mit erschreckendem Ergebnis: Die Mikroben waren komplett resistent gegen Vancomycin.
Wie aber war es dazu gekommen? Auch das verrieten die Bakterienkulturen: In ihnen fanden sich nämlich nicht nur Vancomycin-resistente MRSA, sondern auch alte Bekannte: Vancomycin-resistente Enterokokken (VRE). Genetische Analysen enthüllten schnell, dass nicht nur die VRE sondern auch MRSA das Gen vanA auf ihren Plasmiden trugen – das Gen, das für den Umbau der Zellwand in eine mit Vancomycin inkompatible Form verantwortlich war. Durch einen horizontalen Gentransfer war aus MRSA nun VRSA geworden.
Noch ist die Verbreitung dieser VRSA-Stämme sehr begrenzt, es sind seither nur ein paar lokalisierte Ausbrüche bekannt geworden. Doch die Position des Resistenzgens auf dem Plasmid der Erreger weckt die Befürchtung, es könne sich möglicherweise ähnlich rasant ausbreiten, wie die ebenfalls Plasmid-gebundenen Gene für die Beta-Lactamasen.
Nadja Podbregar
Stand: 17.09.2010