Ob Schmerzblockade, Amnesie oder „Brett vorm Kopf“: Warum kann Hypnose unsere Psyche und Wahrnehmung beeinflussen? Und was passiert dabei im Gehirn? Wenn es um die neurophysiologischen Effekte der Hypnose geht, sind noch viele Fragen ungeklärt, in anderen gehen die Meinungen in der Fachwelt ziemlich auseinander.
Mythos Trance
Dies beginnt schon bei der Frage, ob eine Hypnose eine Trance ist oder nicht – und was Trance eigentlich bedeutet. „Der Mythos der Trance ist die Mutter aller Mythen rund um die Hypnose“, sagt der Psychologe und Hypnoseexperte Steven Jay Lynn von der Binghamton University in New York. „Angetrieben wird dies von Medien wie Filmen, Fernsehen und dem Internet, in denen Hypnose als veränderter Bewusstseinszustand dargestellt wird, der sich deutlich vom normalen Wachsein unterscheidet.“
Nach diesen Vorstellungen bekommen Hypnotisierte kaum noch etwas von ihrer Umgebung mit und befinden sich in einem ähnlich halbbewussten Zustand wie Schlafwandler. In dieser Trance sind alle inneren Kontrollmechanismen außer Kraft gesetzt, weshalb Menschen unter Hypnose gewissermaßen willenlos sind und sich leicht manipulieren lassen. Auch Hypnose-Shows fördern diesen Eindruck, wenn sie ihre Testpersonen zu absurdesten Verrenkungen oder peinlichen Verhaltensweisen bringen.
Selektive Aufmerksamkeit
Doch die Wirklichkeit sieht anders aus: „Hypnose ist nur ein Zustand hochgradig fokussierter Aufmerksamkeit, ähnlich wie wir ihn erleben, wenn wir von einem Film so gefesselt sind, dass wir alles um uns herum vergessen“, erklärt der Psychologie David Spiegel von der Stanford University. „Dabei erlebt man Sinneseindrücke und Emotionen auf eine Weise, die unsere Erfahrungen beeinflusst.“
Hypnose bringt uns demnach in einen Zustand entspannter, aber gleichzeitig stark fokussierter Aufmerksamkeit, in dem bestimmte Kontrollmechanismen unseres Bewusstseins weniger aktiv sind. Diese hypnotische Trance hat nichts mit somnambulem Schlafwandeln zu tun, sorgt aber dafür, dass Suggestionen in diesem Zustand besser und widerstandsfreier angenommen werden. „Man muss unterscheiden zwischen Trance und Suggestion – nicht jede Suggestion ist Trance“, betont der klinische Psychologe Dirk Revenstorf von der Universität Tübingen. „Aber in der Trance ist die Suggestibilität erhöht.“
Dies spiegelt sich auch im Gehirn wider: Aufzeichnungen der Hirnströme und Aufnahmen mittels funktioneller Magnetresonanztomografie (fMRT) zeigen deutliche Verschiebungen der Hirnaktivität bei hypnotisierten Personen. So schwächen sich bei ihnen die Verknüpfung des präfrontalen Cortex mit anderen Hirnarealen ab. Dadurch schwindet der Einfluss dieses Kontrollzentraums im Stirnhirn, das unter anderem für rationale Entscheidungen, kritisches Denken und Impulskontrolle zuständig ist.
Von Empfindungen entkoppelt
Konkret betrifft diese Entkopplung vor allem zwei wichtige Hirnnetzwerke: Zum einen schwächt Hypnose die Verbindung vom präfrontalen Cortex zur Inselrinde, einem seitlich am Vorderkopf sitzenden Bereich, der für die emotionale Bewertung von körperlichen Empfindungen und Sinnesreizen verantwortlich ist. Parallel dazu sinkt die Aktivität im Gyrus cinguli im Mittelteil unseres Gehirns. Er gehört zu einem Netzwerk, das unter anderem beeinflusst, wie viel bewusste Aufmerksamkeit wir äußeren und inneren Eindrücken schenken und wie wir sie emotional bewerten.
Das kann erklären, warum wir unter Hypnose weniger Schmerzen empfinden oder eine veränderte Wahrnehmung haben. Dies bestätigen auch Hirnscans und Hirnstrommessungen bei Hypnosestudien: Beim suggerierten „Brett vor dem Kopf“ waren die Hirnreaktionen des primären Sehzentrums unverändert – dies zeigt an, dass die hypnotisierten Testpersonen die durch das Brett verdeckten Quadratsymbole durchaus sahen. Doch die Hirnströme, die die höhere Verarbeitung dieser Reize im Gehirn anzeigen, waren auf nur noch in Drittel ihrer normalen Amplitude abgeschwächt. Je ausgeprägter diese Hemmung war, desto mehr Symbole übersahen die Probanden.
Ähnliches zeigt sich bei Versuchen zur Schmerzhemmung durch Hypnose: Auch dabei lässt sich erkennen, dass die Schmerzrezeptoren den Reiz wahrnehmen und ans Gehirn weiterleiten. Dort können diese Reize jedoch nur noch bedingt in die Areale vordringen, die für die bewusste Wahrnehmung und Einordnung des Schmerzes wichtig sind.
Schwächung des Default-Mode-Netzwerks
Der zweite Effekt der Hypnose ist eine Entkopplung von präfrontalem Cortex und dem Default-Mode-Netzwerk. Dieses ist vor allem dann aktiv, wenn wir tagträumen, unseren Erinnerungen nachhängen oder entspannt die Gedanken schweifen lassen. Auch für die Selbstwahrnehmung spielt dieses Netzwerk eine Rolle. Neurophysiologische Studien zeigen, dass die Aktivität des Default-Mode-Netzwerks unter Hypnose abnimmt, gleichzeitig schwächt sich die Verbindung zum Kontrollzentrum im präfrontalen Cortex ab.
Als Folge davon ist der Geist unter Hypnose weniger durch verstreute Gedanken und Assoziationen abgelenkt. Gleichzeitig schwächt sie das analytische Denken und auch die kritische Bewertung unserer eigenen Gedanken und Gefühle. „Neurobiologische Studien bestätigen, dass Hypnose einen hirnphysiologisch veränderten Zustand darstellt“, sagt Revenstorf. „Und der ist sehr interessant, weil er ein Hirnnetzwerk außer Kraft setzt, das normalerweise unsere Alltagsvernunft und Ichbezogenheit unterstützt oder hervorbringt.“
Chance für die Medizin
Diese neurophysiologischen Mechanismen eröffnen die Möglichkeit, unser Denken und Fühlen über Suggestionen zu manipulieren – zumindest bis zu einer gewissen Grenze. Sie bieten aber auch Chancen, Hypnose in der Medizin und Psychotherapie zum Wohl von Patienten einzusetzen. „Wir haben begonnen zu verstehen, dass unsere Psyche auch den Körper beeinflussen kann“, sagt Spiegel. „Wir können Angst und Schmerzen kontrollieren und wir können Menschen helfen, sich besser zu fühlen, selbst bei schweren Erkrankungen.“
Die Hypnotherapie wird heute bereits in der Behandlung von Angststörungen, Depression oder Schmerzen eingesetzt, aber auch bei der Rauchentwöhnung oder psychosomatischen Leiden. Wichtig ist allerdings: Eine solche Behandlung sollte immer von erfahrenen und zertifizierten Psychologen und Psychotherapeuten durchgeführt werden.