Vor einigen Jahren sorgten US-Astronomen für eine kleine Sensation – und für reichlich Diskussionsstoff. Denn sie berichteten über Auffälligkeiten im Kuipergürtel, die auf die Präsenz eines größeren Himmelskörpers hindeuten, möglicherweise sogar auf einen Planeten von der Größe des Neptun. Aber was ist dran an diesen hypothetischen „Planet 9“?
„Das kann kein Zufall sein“
Die ersten Indizien für einen solchen Planeten lieferten die Bahnen von sechs größeren Objekten im gestreuten Teil des Kuipergürtels, darunter auch die Zwergplaneten Sedna und 2015 TG387. Sie folgen exzentrischen, stark elliptischen Umlaufbahnen, deren Hauptachse in der gleichen Richtung liegt. Zudem ist ihr Orbit einheitlich um rund 30 Grad gegen die Ekliptik gekippt. Seither haben Astronomen noch weitere Kuipergürtel-Objekte gefunden, deren Orbits ähnliche Auffälligkeiten zeigen.
„So etwas kann nicht einfach zufällig passieren“, erklärt der Astronom Mike Brown vom California Institute of Technology. Er und sein Kollege Konstatin Batygin beziffern die Wahrscheinlichkeit für einen Zufall auf nur 0,007 Prozent. Stattdessen deutet diese Gleichrichtung der Orbits darauf hin, dass diese Himmelskörper von der Schwerkraftwirkung eines oder mehrerer anderer Objekte beeinflusst werden müssen.
Woher kommt der Schwerkrafteinfluss?
Aber um was für Objekte handelt es sich? Die naheliegendste Erklärung wäre, dass sich die Himmelskörper im Kuipergürtel gegenseitig beeinflussen. Modelle legen allerdings nahe, dass diese Zone eisiger Brocken dafür rund 100 Mal massereicher sein müsste, als sie es gängiger Lehrmeinung nach ist. Denn für den nötigen Schwerkrafteinfluss wäre rund ein Zehnfaches der Erdmasse nötig, wie Berechnungen von Brown und Batygin ergaben.
Einer weiteren Hypothese zufolge könnte es dort draußen eine Art Ring aus vielen kleineren Brocken geben, deren kombinierte Schwerkraft die Bahnstörungen bei Sedna und Co verursacht. Forscher um Antranik Sefilian von der University of Cambridge haben dies 2019 in einer Modellsimulation überprüft. „Wir wollten wissen, ob es nicht eine andere, weniger dramatische Ursache für die ungewöhnlichen Orbits einiger transneptunischer Objekte geben könnte.“
Das Ergebnis: „Wenn man Planet 9 aus dem Modell entfernt und stattdessen viele kleine Objekte über ein großes Gebiet verteilt, dann können ihre kollektiven Anziehungskräfte die exzentrischen Bahnen einiger transneptunischer Objekte ebenso gut erklären“, berichtet Sefilian. Doch auch für diese Hypothese müsste der Kuipergürtel weit mehr Objekte enthalten, als es bisherige Beobachtungen und Modelle nahelegen.
Neptungroß und zehnmal so schwer wie die Erde
Damit scheint noch eine Erklärung übrig zu bleiben – ein bisher unentdeckter Planet im Kuipergürtel. Dieser „Planet 9“ wäre den Modellrechnungen zufolge rund zehn Erdmassen schwer und ein wenig kleiner als der Neptun. Er umkreist die Sonne auf einem rund 400 bis 1.500 astronomische Einheiten entfernten Orbit. Im Mittel ist der Planet damit 20 Mal weiter von der Sonne entfernt als Neptun und benötigt für einen Umlauf rund 15.000 Jahre.
Nach Angaben von Brown und Batygin liegt die Wahrscheinlichkeit für die Existenz eines solchen „Planet 9“ immerhin bei mehr als 90 Prozent. „Seit der Antike wurden nur zwei neue Planeten im Sonnensystem entdeckt und das wäre nun der dritte. Das ist wirklich aufregend“, sagt Brown.
Lichtschwach und kalt
Warum aber hat man diesen Planeten nicht schon längst entdeckt? Den Astronomen zufolge gibt es dafür mehrere Gründe: Wenn sich Planet 9 gerade auf dem sonnenfernsten Teil seiner Bahn befindet, wäre sein schwacher Widerschein viel zu gering, um selbst mit leistungsstärksten Teleskopen erkannt zu werden. Modellrechnungen eines Teams der Universität Bern haben ergeben, dass der Planet eine intrinsische Leuchtkraft von nur 0,006 zeigen könnte – der Neptun hat 0,01.
Zudem könnte das bisschen an Strahlung, das Planet 9 aussendet, vorwiegend im Infrarotbereich liegen. Dadurch müsste die Temperatur des Planeten bei rund 47 Kelvin liegen – minus 226 Grad Celsius. Der Planet wäre damit nur rund 37 Grad wärmer als seine kosmische Umgebung und am besten im Fern-Infrarotbereich aufspürbar. „Die bisher ergebnislose Suche passt sehr gut zu den von uns ermittelten Eigenschaften von Planet 9 – vor allem wenn er sich gerade am sonnenfernsten Punkt seiner Bahn aufhält“, konstatieren die Berner Astronomen Esther Linder und Christoph Mordasini.
Aber selbst wenn man diesen Planet 9 entdecken sollte, wirft seine Existenz gleich mehrere Fragen auf…