Das Szenario einer Kernschmelze und drohender Verseuchung ganzer Gebiete wie in Fukushima ist nicht neu. Es ereignete sich schon einmal, im Jahr 1979, in einer Zeit, als die Atomkraft noch als Technik der Zukunft und sichere Energiequelle bejubelt wurde. Doch der Unfall im amerikanischen Kernkraftwerk Three Mile Island nahe der Stadt Harrisburg markierte das Ende dieser Ära. „Ein Erdbeben, das die Menschen aus dem Kinderglauben gerissen hat, dass Atomenergie eine Technik wie jede andere ist“, zitiert die Wochenzeitung Die Zeit den Autor Heinrich Jaenicke. „Harrisburg hat den Propagandanabel zerrissen.“
Uranlava am Reaktorgrund
Im Druckwasserreaktor von Three Mile Island war vor fast genau 32 Jahren durch eine Verkettung technischen und menschlichen Versagens die Kühlung samt Notkühlung über mehrere Stunden hinweg komplett ausgefallen. Im Kern des Druckwasserreaktors 2 verdampfte das Kühlwasser, die Brennstäbe lagen mehrere Meter weit frei. Die Temperaturen im Inneren stiegen auf knapp 2.800°C, die insgesamt über 36.000 Brennstäbe schmolzen zum Teil und das weißglühende Urangemisch lief auf den Grund des Reaktorgefäßes.
Aus dem primären Kühlkreislauf traten radioaktiv verseuchtes Wasser und Wasserdampf aus und sammelten sich am Grund des Reaktorgebäudes, im so genannten „Sumpf“. Die Schmelze der Brennstäbe führte zudem auch hier zur Bildung von Wasserstoff, auch hier hing über Tage eine Wasserstoffblase unter dem Reaktordach. Eine Explosion drohte. Würde die glühende Kernschmelze nun noch den Druckbehälter durchbrechen, könnte dabei Radioaktivität ungeahnten Ausmaßes freigesetzt werden, Kilometerweit wären die umliegenden Gebiete dann lebensgefährlich stark verseucht.
Vertuschen und lügen
Doch Notfallpläne für ein solches Szenario fehlten damals. Statt zu informieren, vertuschten und logen die Betreiber gnadenlos. Selbst nachdem bereits erste radioaktive Gaswolken aus dem Reaktor entwichen waren, wiegelten sie ab und erklärten, es bestehe außerhalb des Kraftwerks keine Gefahr. Erst zwei Tage nach Beginn des Dramas ordnete der Gouverneur Richard Thornburgh die Evakuierung zunächst eines Gebiets zwölf Kilometer um den Reaktor herum an. Bis allerdings die Bevölkerung adäquat informiert wurde und die Räumung beginnen konnte, dauerte es weitere 48 Stunden. Einige Tage nach Bekanntwerden des Störfalls waren insgesamt 144.0000 Menschen aus einer Gefahrenzone von dann bereits 24 Kilometern geflohen.
Nach tagelangem Kampf um Kühlung und Eindämmung der Verseuchung dann ein erstes Aufatmen: Ein weiteres Durchbrennen der Schmelze war gestoppt, der Reaktor abgekühlt, unmittelbare Explosionsgefahr bestand nicht mehr. Warum der Reaktor damals trotz aller Fehler und Pannen haarscharf am Super-GAU vorbeischrammte und der stählerne Druckbehälter der Kernschmelze standhielt, ist bis heute unklar. Ebenso unklar ist aber auch, wie viel Radioaktivität damals tatsächlich freigesetzt wurde.
„Ende der Unschuld“ für die Atomenergie
Für viele Amerikaner und auch Europäer markierte Three Mile Island 1979 das „Ende der Unschuld“ der Atomkraft. Der Unfall machte deutlich, wie wenig der Mensch letztlich die Kernenergie beherrscht und wie schnell die gewaltige Energie dieser Naturkraft außer Kontrolle geraten kann. Zahlreiche geplante neue Reaktoren wurden damals nicht mehr gebaut, das Bild der Kernenergie wandelte sich tiefgreifend und nachhaltig.
In Japan könnte sich dies nun möglicherweise wiederholen. Denn im Gegensatz zu den USA oder Deutschland, galt die Atomenergie in dem an Energieressourcen armen Land bis heute als wichtige und durchaus sichere Energiequelle. Immerhin knapp 30 Prozent der Stromversorgung deckt Japan mit Atomkraft. Im Zuge des Klimaschutzes war sogar der Ausbau und Neubau weiterer Meiler geplant. Ob dies allerdings nach Fukushima noch gilt, ist fraglich. Denn der GAU und möglicherweise sogar Super-Gau von Fukushima wird das Bild der Atomkraft nun auch für die Japaner für alle Zeit verändern.
Nadja Podbregar
Stand: 18.03.2011