Auch wenn der Begriff „Tsunami“ aus dem Japanischen kommt – er bedeutet „große Hafenwelle“ – sind diese Ereignisse kein pazifisches oder gar asiatisches Phänomen. Denn überall dort, wo ein Seebeben auftritt, ein Küstenvulkan explodiert oder unterseeischen Hänge abrutschen, kann es zu solchen Flutwellen kommen.
Abrupt verdrängt
Ein Tsunami entsteht, wenn große Wassermassen verdrängt und in Bewegung versetzt werden. Dies geschieht besonders häufig dann, wenn an einer unterseeischen Plattengrenze das Gestein nachgibt und es zu einem abrupten Versatz der Verwerfung kommt – einem Erdbeben. Das Hochschnellen oder Absenken des Untergrunds erzeugt einen Energieimpuls, der sich auf die darüber liegenden Wassermassen überträgt. Diese langgezogenen Wellenberge rasen dann im Tempo eines Düsenjets über den Ozean und türmen sich mit abnehmender Wassertiefe immer höher auf.
Lange hielten Wissenschaftler vor allem Subduktionszonen für besonders tsunamiträchtig – Plattengrenzen, in denen eine ozeanische Platte unter eine kontinentale Platte gedrückt wird. Inzwischen jedoch ist klar, dass auch andere Verwerfungen solche Flutwellen auslösen können – und von diesen gibt es im Mittelmeerraum unzählige. Denn hier schiebt sich die afrikanische Erdplatte nordwärts unter die eurasische und hinterlässt dabei ein komplexes Puzzle aus Plattenbruchstücken und Verwerfungen.
Es ist daher kein Zufall, dass sich immerhin zehn Prozent aller weltweiten Tsunamis im Mittelmeerraum ereignen – und dass einige der frühesten Zeugnisse von Tsunamis aus dieser Region stammen.
Der „Tag des Horrors“
So berichten historische Aufzeichnungen von einem Tsunami, der am 21. Juli 365 weite Teile der antiken Küstenregionen zerstörte und allein in Alexandria tausende von Todesopfern forderte. Auslöser war ein Seebeben vor der Küste Kretas, das nach heutigen Schätzungen mindestens die Magnitude 8 erreicht haben muss.
Der römische Geschichtsschreiber Ammianus Marcellinus berichtet: „Kurz nach Tagesanbruch begann die feste Erde zu zittern und zu schütteln und das Meer zog sich zurück. Seine Wellen verschwanden, so dass die Abgründe der Tiefe enthüllt wurden und vielgestaltige Kreaturen der See im Schlamm zu sehen waren. Viele Schiffe strandeten wie auf trockenem Land.“ Dieser extreme Rückzug des Wassers ist typisch für die Phase kurz vor dem Eintreffen der Tsunamiwelle.
Doch dann kam das Wasser zurück: „Dann kehrte die tobende See wieder und warf sich mit Gewalt auf Inseln und weite Teile des Festlands“, berichtet Marcellinus. „Schiffe, von dem wahnsinnigen Toben herausgeschleudert, hingen auf den Dächern von Häusern, wie in Alexandria.“ Er beschreibt, wie Gebäude zerstört, Schiffe bis zu drei Kilometer weit ins Land hinein gespült wurden und tausende von Menschen starben. Antike Städte auf Kreta, Sizilien, Zypern und sogar in Spanien wurden zerstört, die Metropolen Apollonia im heutigen Libyen und Alexandria in Ägypten versanken in den Fluten.