Bisher ist die Existenz eines „dunklen“ Bosons reine Theorie. Doch in den letzten Jahren haben Physiker einige Anomalien bei Experimenten verschiedenster Art entdeckt, die zumindest zu denken geben. Denn sie könnten erste Hinweise darauf sein, dass es tatsächlich Teilchen oder Kräfte jenseits des Standardmodells gibt – möglicherweise in Form eines noch unbekannten Bosons.
Abweichende Winkel
Eine Auffälligkeit bemerkten im Jahr 2016 ungarische Forscher, die den radioaktiven Zerfall des Isotops 8Beryllium und die dabei entstehenden Teilchen untersucht hatten. Dabei stellten sie fest, dass bei etwa jedem millionsten Zerfall der Winkel der dabei freigesetzten Paare aus Elektron und Positron nicht mit den gängigen Modellen übereinstimmte. Mit einer Signifikanz von 6,8 Sigma lag diese Anomalie klar jenseits einer bloß statistischen Abweichung.
Das Forschungsteam stellten die Hypothese auf, dass diese Anomalie durch die Präsenz eines noch unbekannten Teilchen verursacht werden könnte. Wenig später ermittelte ein weiteres Physikerteam um Jonathon Feng von der University of California in Irvine, dass die Daten eher nicht zu einem Materieteilchen, dafür aber recht gut zu einem Boson passen könnten. Ihren Berechnungen zufolge hätte dieses Boson etwa die 30-fache Elektronenmasse. Damit allerdings läge es in einem Massenbereich, der schon relativ gut untersucht ist – es hätte demnach eigentlich schon gefunden werden müssen.
Überschüsse im Teilchenbeschleuniger
Parallel dazu haben auch Physiker am Forschungszentrum CERN immer wieder Anomalien im Teilchenbeschleuniger LHC festgestellt. Bereits 2015 ergaben Datenauswertungen, dass bei den Protonen-Kollisionen in den beiden LHC-Detektoren CMS und ATLAS ein kleiner Überschuss an Gammastrahlen entstand – sichtbar als winziger „Buckel“ in der Verteilungskurve der detektierten Teilchen. Ein solcher Gammastrahlenüberschuss könnte auf die Existenz eines Bosons hindeuten, wie die Forscher erklärten.
2017 stießen die CERN-Physiker auf eine weitere Auffälligkeit, diesmal beim Zerfall der kurzlebigen B-Mesonen. Diese Teilchen aus einem Quark und einem Antiquark entstehen als Zwischenprodukt der Protonenkollisionen in Beschleuniger. Dem Standardmodell nach müssten beim Zerfall dieser Mesonen gleich viele Elektronen und Myonen entstehen – doch das war nicht der Fall. Stattdessen zeigte der Detektor LHCb deutlich weniger Myonen als Elektronen. Zwar hatte diese Anomalie nur eine Signifikanz von rund 2,5 Standardabweichungen, dennoch wertet das Team sie als mögliches Indiz für ein noch unbekanntes Boson.
Nichtlineare Quantensprünge
Einen ganz anderen Ansatz haben zwei Forschungsteams im Jahr 2020 gewählt: Wenn zusätzliche Bosonen existieren und das Verhalten der Neutronen im Atom beeinflussen, dann müssten sie auch eine winzige Kraftwirkung zwischen Neutronen und Elektronen verursachen. Diese wiederum müsste sich an winzigen Abweichungen bei den Quantensprüngen verschiedener Isotope desselben Elements bemerkbar machen. Dies haben die beiden Forschungsgruppen an fünf Ytterbium-Isotopen und fünf Calcium-Isotopen untersucht.
Während sich beim Calcium keine Abweichungen zeigten, war dies beim schwereren Ytterbium anders: Die Quantensprünge der verschiedenen Isotope wichen von der erwarteten linearen Kurve ab. „Eine solche Nichtlinearität kann auf eine Physik jenseits des Standardmodells in Form eines neuen bosonischen Kraftträgers hindeuten“, konstatierten Ian Counts vom Massachusetts Institute of Technology (MIT) und seine Kollegen.
Allerdings: Auch die Signifikanz dieser Abweichungen liegt bisher nur bei drei Sigma. Als gesicherte Entdeckung gilt in der Teilchenphysik aber erst ein Wert von fünf Sigma. Counts und sein Team können daher nicht ausschließen, dass nicht doch andere Störeffekte diese Anomalien verursacht haben.
Passt all dies zum „dunklen“ Boson?
Dennoch wecken diese und noch einige weitere Auffälligkeiten die Hoffnung, dass sich irgendwo tatsächlich noch mindestens ein unerkanntes Elementarteilchen verbergen könnte – womöglich sogar ein Boson. Ob dieses Kraftteilchen dann aber auch der Urheber der Dunklen Materie sein kann, hängt von seinen Eigenschaften ab. Denn dafür muss der „dunkle“ Boson entweder schwer genug oder aber häufig genug sein. Doch ausgerechnet bei der Masse gibt es ein Problem…