Riesenseeadler oder Harpyien oder auch die noch größeren Gänse- oder Mönchsgeier sind nichts gegen einen Giganten der Lüfte, der einst in Neuseeland lebte. Der Haastadler, benannt nach seinem Entdecker Julius von Haast, wog bis zu 14 Kilogramm. In die Luft schwang sich der Riesengreifvogel mit Flügeln von einer Spannweite bis zu drei Metern.
Der Haastadler ernährte sich vorwiegend von Moas, großen flugunfähigen Laufvögeln, die bis zu 200 Kilogramm wogen, aber auch von Riesengänsen, die, nur wenige Kilo schwerer als der Adler, ebenfalls nicht fliegen konnten. Zur Zeit der Riesenadler gab es außer Riesengeckos von einem halben Meter Länge keine Bodenraubtiere, so dass der Adler seine Beute nie sichern musste. Deshalb konnte er auch sehr große Tiere erlegen, an denen er tagelang herumfraß, ohne sie gegen andere Räuber verteidigen zu müssen.
Als die Maoris Neuseeland im 14. Jahrhundert besiedelten, war das Schicksal der Riesenadler besiegelt. Weil er große Zweibeiner in seinem Beutespektrum hatte und deshalb als Menschenfresser galt, wurde er gezielt gejagt. Das belegen Felszeichnungen der Maori. Zudem rotteten die Menschen die flugunfähigen Laufvögel aus, so dass der Raubvogel am Ende der Nahrungskette mit in Mitleidenschaft gezogen wurde. Um 1700 etwa war auch der Riesenadler ausgestorben.
Als Wissenschaftler von der McMaster University in Hamilton im Jahr 2005 die Verwandtschaft zwischen dem Haastadler und dem noch heute lebenden australischen Keilschwanzadler feststellen wollten, machten sie eine erstaunliche Entdeckung. Anhand von DNA-Sequenzen aus etwa 2.000 Jahre alten fossilen Knochen kamen sie dem Stammbaum des Riesenadlers tatsächlich auf die Spur. Diese führte sie jedoch nicht zum Keilschwanzadler, einem „echten Adler“ der Gattung Aquila, sondern zum Kaninchenadler, dem kleinsten Vertreter der Habichtsadler – und dem kleinsten Adler überhaupt. Nur ein Kilogramm schwer wird ist der Vetter des Riesenadlers.
Vor weniger als einer Million Jahren trennten sich die Evolutionslinien der beiden Adlerarten, vermuten die Wissenschaftler. Dass der Riesenadler in dieser kurzen Zeit das Zehn- bis Fünfzehnfache an Gewicht zulegte, war selbst für die Experten eine Überraschung. Doch unter den Bedingungen auf Neuseeland war die Größe für den Riesenadler ein entscheidender Vorteil, mit der er sich zum Herrscher des Ökosystems entwickelte.
Stand: 15.12.2006