Phänomene

Ver(w)irrte Wale sterben auf dem Land

Massenstrandungen in aller Welt

Sie können gut hören, tasten die Umgebung mit einem Sonar ab und richten ihre Reiserouten mit einem Kompass aus:

Ihre Orientierungssinne zeigen den Walen Wege an Küsten entlang, über Tiefseegräben hinweg und an den roten Korallen vorbei in den Ostaustralischen Strom. Der Blauwal etwa, bereist vom Pazifik über den Indischen Ozean in den Atlantik nahezu alle Ozeane. Aber nicht alle Wale erreichen gleich sicher ihr Ziel. Einige stranden auf ihrer Reise immer wieder an Küsten rund um die Welt.

Doch längst nicht alle Walarten sind Opfer von Massenstrandungen: Lediglich zehn Arten aus der Familie der Zahnwale sind regelmäßig Opfer in den Katastrophen. Selten sind es die Meeressäuger, die ohnehin küstennah im Flachwasser leben – Eher Wale, die sich in den endlosen Tiefen der Ozeane heimisch fühlen. Die Grind- und Schwertwale etwa, die sich in Tiefen bis zu 1.800 Metern wohl fühlen und hauptsächlich zwischen der Antarktis und dem 35. Breitengrad aufhalten, wagen sich nur selten in die Nähe der Küsten Australiens oder Neuseelands. Allein in Tasmanien vor der australischen Südküste sind zwischen 1994 und 2003 über 2.768 Gewöhnliche Grindwale lebend gestrandet – nahezu die Hälfte aller Strandungen weltweit.

Ein Pottwal in Deutschland – Tiefseetaucher im Flachland Nordsee

Sogar der größte Zahnwal, der Pottwal, ist durch Strandungen ausgerechnet in Europa gefährdet. In den Sommermonaten ziehen die Pottwale aus dem Atlantik Richtung Nordpol auf der Suche nach reichhaltigen Fischgründen. Gegen Herbst dann, brechen die Pottwal-Gruppen wieder auf, um in die warmen Gewässer der Azoren oder Kanaren zurück zu kehren. Die Reise beginnt meistens nördlich von Skandinavien, von wo aus die Wale an der Norwegischen Küste entlang, an den Britischen Inseln und Irland vorbei in den Mittelatlantik schwimmen.

Einziger "deutscher" Wal: der Schweinswal © NOAA

Doch manchmal bleiben Pottwale nicht auf dem anstammten Weg, sondern biegen zwischen Norwegen und Großbritannien in die Nordsee ein. Innerhalb weniger Kilometer verringern sich die Meerestiefen von knapp 2.000 Metern auf 350 Metern vor der Südspitze Norwegens. Drehen die Pottwale hier nicht mehr um, müssen sie über die flachste Stelle der Nordsee von nur 13 Metern Tiefe, vorbei an zahlreichen Bohrinseln und entlang der Deutschen Bucht, bis sie sich zwischen dem dichten Schiffsverkehr und über den Eurotunnel hinweg durch den Ärmelkanal in den Atlantik „quetschen“. Ein risikoreicher und oft tödlicher Umweg, der oft auf einem Strand endet.

Im Vergleich zum Pottwal ist der Schweinswal mit seinen knapp 80 Kilogramm und weniger als zwei Metern Länge eher ein Mini-Wal für das Mini-Meer Nordsee: Denn er ist der einzige Wal, der seine Heimat in deutschen Gewässern hat. Der Schweinswal fühlt sich vor allem in den flachen und küstennahen Gewässern wohl, wo er im Gegensatz zu seinen großen Brüdern keine Platzprobleme bekommt. Manchmal wagt er sich sogar über die Flüsse ins Landesinnere, wie bei einem Ausflug bis Berlin. Und obwohl der Schweinswal an sandige und flache Buchten gewohnt ist, kommt es vor allem im Sommer an den Küsten Schleswig-Holsteins immer wieder zu Massenstrandungen mit bis zu 150 lebenden Jungtieren.

Den Ursachen auf der Spur

Die Begleitumstände der Strandungen geben erste Hinweise auf Ursachen, warum die Wale nicht auf dem sicheren Weg geblieben sind. Finden Naturschützer nur einzelne Tiere, sind sie fast immer bereits im Wasser verendet und wurden nur noch als leblose Körper an den Strand gespült. Dann ist das Tier meist von einer Krankheit geschwächt, durch ein Fischernetz verletzt oder im Kampf tödlich verwundet worden. Sind es mehrere Einzeltiere oder gar ganze Gruppen, die tot auf den Stränden liegen, suchen Wissenschaftler nach regionalen Einflüssen auf die Lebensbedingungen der Wale, wie etwa lokale Wasserverschmutzung, militärische Manöver oder starken Unterwasser-Lärm. Besonders rätselhaft allerdings sind die Massenstrandungen von lebenden Walen und Delphinen.

Walspiele vor Südafrika © Forschungsreisen Gmbh

Die Meeressäuger stranden an Küsten in Europa, in Südamerika, Australien und Neuseeland. Sie schwimmen oft in Gruppen von bis zu 100 Tieren scheinbar gezielt in flache Buchten und sterben dann langsam und qualvoll an Land – Ein Verhalten das den Wissenschaftlern bis zum heutigen Tage ein Rätsel ist. Von Selbstmorden erzählt das Seemannsgarn, vom Einfluss des Mondes berichten uralte Märchen und vom evolutionären Drang in Paniksituationen an Land zu flüchten ist die Rede.

Auf der Suche nach Erklärungen finden sich heute weit über 40 Ursachen, die von den einen oder anderen Spezialisten als Ursache für Walstrandungen angenommen werden. Nach jeder Strandung wird die Frage nach den Gründen immer wieder neu gestellt. Bei den Antworten steht oft die soziale Bande der Tiere im Mittelpunkt. Wenn das Leittier aus Krankheit orientierungslos umherirrt oder vor Schmerz den Freitod auf einer Sandbank sucht, folgen ihm die anderen Tiere, weil sie helfen wollen. Eine Erklärung, die auf natürliche Erkrankungen der Organe, Parasitenbefall der Gehörgänge oder eine Vergiftung durch Mikroalgen setzt.

Besonders in den letzten Jahren haben jedoch intensivere Untersuchungen der gestrandeten Tiere und der Begleitumstände zu neuen Kenntnissen geführt. Dabei konnte in einigen Fällen zwar die Orientierungsschwäche der Wale durch Krankheiten bewiesen werden, aber immer häufiger berichteten die Walorganisationen auch von Strandungen lebender und gesunder Tiere. Das Rätsel um die Ursache ist größer als je zuvor und doch gibt es neue Ansätze von Forschern, die vielleicht zumindest für einige Strandungen eine Erklärung liefern können.

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Stand: 06.01.2006

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In den Schlagzeilen

Inhalt des Dossiers

Orientierungslose Giganten
Warum stranden Wale?

Facts
Das Wichtigste in Kürze

Über 150 Wale in Neuseeland gestrandet
Gibt es noch Hoffnung?

Exakte Positionsbestimmung – auch ohne GPS
Wie Wale ohne Routenplaner die Weltmeere durchqueren

Ver(w)irrte Wale sterben auf dem Land
Massenstrandungen in aller Welt

Gift-Cocktail unter Wasser
Schadstoffe bringen den schleichenden Tod

Ein Lärmschutz für Wale?
Die Geräuschkulisse einer Großbaustelle

Schall-Bomben töten Meeressäuger
Militärübungen auf dem Meeresboden

Klimaveränderung sogar für Wale gefährlich?
Treibt der Wind die Wale auf die Strände?

Wenn alle Sinne ausfallen…
Sonnenaktivität verbiegt die „Landkarte“

Theorien, Spuren und Indizien
Das Rätsel ist noch nicht gelöst

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