Erstmals gibt es im Weltklimabericht genauere Abschätzungen der zeitlichen Dimension von Klimawandel und Klimaschutz. Es wird deutlicher, wie lange das Klimasystem braucht, um auf positive wie negative Einflüsse zu reagieren – und damit auch auf den Klimaschutz.
„Eigentlich können wir dankbar sein, dass das Klima vergleichsweise langsam auf unsere Einflussnahme reagiert und dass Jahrzehnte unserer Emissionen bis jetzt ’nur‘ zu etwa einem Grad Erwärmung geführt haben. Andererseits ist es erschreckend, welche Zerstörungskraft schon ein einzelnes Grad Erwärmung hat, wenn wir uns anschauen, was der Klimawandel bereits heute auf der Erde anrichtet“, kommentiert Klimaforscherin Daniela Domeisen von der ETG Zürich.
Ozeane: Pegelanstieg und Sauerstoffschwund fast irreversibel
Zu den Systemen, deren Veränderung sich über Generationen hinweg nahezu irreversibel fortsetzen wird, gehören die Ozeane. Weil die Meere extrem träge auf die Erwärmung und den erhöhten Eintrag von CO2 reagieren, würde sich selbst ein sofortiger Stopp aller Emissionen erst in Jahrhunderten bis Jahrtausenden auf die Meerestemperaturen, die Versauerung des Tiefenwassers und den Sauerstoffschwund auswirken, so der Bericht. Diese Veränderungen sind daher in diesen Zeiträumen irreversibel.
Gleiches gilt für den Meeresspiegelanstieg: „Durch die anhaltende Erwärmung der tiefen Wasserschichten und die Schmelze der Eiskappen, wird der Meeresspiegel noch über Jahrhunderte bis Jahrtausende weiter ansteigen und dann tausende Jahre hoch bleiben“, schreiben die IPCC-Autoren. Konkret bedeutet dies: Selbst wenn die Erwärmung auf 1,5 Grad begrenzt wird, steigen die Pegel global um zwei bis drei Meter. Bei Einhalten des Zwei-Grad-Ziels müssen unsere Nachkommen sogar mit einem Meeresspiegelanstieg von zwei bis sechs Metern rechnen.
Jahrhunderte Reaktionszeit auch für Eispanzer und Permafrost
Ebenfalls mit Verzögerung reagieren die großen Eispanzer Grönlands und der Antarktis. Auch sie werden unabhängig vom Klimaschutz-Szenario bis 2100 weiter schrumpfen, diese Entwicklung wird für Jahrzehnte, wenn nicht gar Jahrhunderte nicht rückgängig zu machen sein. „Wir haben bisher immer gesagt, wir können den eisfreien Zustand der Arktis noch verhindern. Jetzt haben wir zum ersten Mal den Fall, dass es dafür voraussichtlich zu spät ist, und wir nur noch die Häufigkeit von eisfreien Sommern begrenzen können“, sagt Dirk Notz vom Max-Planck-Institut für Meteorologie.
Der Weltklimabericht bestätigt auch, dass der arktische Permafrost zu den langsamen Kipppunkten gehört: Er reagiert so verzögert auf die Klimaveränderungen, dass das Abtauen momentan noch sehr langsam und schleichend erfolgt. „Das Auftauen des Permafrosts und damit verknüpft die Freisetzung seines Kohlenstoffs sind aber in Zeitskalen von Jahrhunderten irreversibel“, so der Bericht. Das aber bedeutet: Die Freisetzung großer Mengen CO2 und Methan aus diesen arktischen Böden wird den Klimawandel auch in Zukunft weiter anheizen.
„Es gibt keine schnelle Belohnung“
So träge, wie viele Komponenten des Klimasystems auf die treibende Kraft der CO2-Emissionen reagieren, so verzögert wird daher auch die Reaktion auf den Klimaschutz ausfallen. Gut erkennbar ist dies am Pandemie-Jahr 2020, wie auch die Autoren des Weltklimabericht aufzeigen: Obwohl die Treibhausgas-Emissionen in der ersten Jahreshälfte 2020 auf einen historisch einmaligen Tiefstand sanken, erreichte der CO2-Gehalt der Atmosphäre noch im gleichen Jahr ein neues Rekordhoch.
Ähnlich wäre es, wenn die Menschheit ihre Netto-Emissionen auf Null herunterschrauben würde. Der Effekt auf die CO2-Konzentrationen in der Atmosphäre wären dem IPCC-Bericht zufolge nach etwa fünf bis zehn Jahren messbar. Wie sich dies aber auf die globalen Temperaturen und damit die Erwärmung auswirkt, können wir erst zehn bis 20 Jahre später eindeutig messen. „Die Erde gleicht einem Tanker mit einem sehr großen Bremsweg“, erklärt Fortunat Joos vom Oeschger Zentrum für Klimaforschung der Universität Bern.
Für den Klimaschutz bedeutet dies: Wir müssen schnell und nachdrücklich handeln, selbst wenn die Effekte unserer Bemühungen noch lange nicht spürbar werden. „Insofern braucht die globale Gemeinschaft einen langen Atem, um die Pariser Klimaziele einzuhalten. Es gibt keine schnelle Belohnung. Auch das ist eine wichtige Botschaft“, sagt Jochem Marotzke vom Max-Planck-Institut für Meteorologie.