Während wir beim arktischen Meereis förmlich zuschauen können, wie es weniger wird, reagieren andere Kippelemente im Klimasystem weitaus langsamer und träger. Selbst wenn sie ihren Schwellenwert schon erreicht haben und „umgekippt“ sind, kann es mehrere Jahrhunderte dauern, bis dieser Zustandswechsel abgeschlossen ist.
„Viele Menschen denken: Ok, jetzt haben wir einen Kipppunkt gerissen und jetzt wird ziemlich schnell etwas passieren“, erklärt Robert Kopp von der Rutgers University. „Doch in der Welt der Klimawissenschaften können die Konsequenzen eines Kipppunkts erst nach Jahrzehnten oder Jahrhunderten vollends zutage treten.“ Dies macht es für Klimaforscher oft schwer festzustellen, ob der Kipppunkt bereits erreicht ist oder nicht. Gleichzeitig führt dies dazu, dass die Folgen dieser Entwicklung oft unterschätzt und verdrängt werden.
Westantarktis: Volle Wirkung erst in einigen Jahrhunderten
Ein Beispiel dafür ist die Eisschmelze in der Westantarktis. Dort münden mehrere große Eisströme ins Meer und stützen sich dabei mit ihren Gletscherzungen auf einer Barriere am Meeresgrund ab. Sie hat bisher den Eisfluss deutlich gebremst. Doch durch warme Tiefenströmungen sind die Gletscherzungen inzwischen unterhöhlt und geschrumpft und enden dadurch teilweise schon vor dieser „Bremse“. Als Folge hat sich der Eissfluss dieser Gletscher deutlich beschleunigt, wie Studien belegen.
Klimaforscher schätzen, dass das Abtauen der größten Gletscher der Westantarktis, darunter des Thwaites- und des Pine-Island-Gletschers, schon jetzt irreversibel sein könnte: Selbst wenn wir sofort jede weitere Erwärmung stoppen, werden sie im Verlauf der nächsten 200 bis 900 Jahre komplett abschmelzen. Die Folge wäre ein zusätzlicher Anstieg des Meeresspiegels um drei Meter allein durch die beiden großen Gletscher, beim Abtauen des gesamten Westantarktischen Eisschilds müssten wir mit fünf Metern Meeresspiegelanstieg rechnen.