Rein mathematisch-theoretisch betrachtet ist die Existenz von Paralleluniversen eigentlich nichts Neues: Jede Lösung der Feldgleichungen der Allgemeinen Relativitätstheorie beschreibt bereits ein eigenes kosmologisches Modell. Und auch von Seiten der Quantenmechanik erhielt die Vorstellung von Parallelwelten schon lange vor Linde Unterstützung. Ein Pionier war der US-Physiker Hugh Everett, ein in den 1950er Jahren noch unbekannter Doktorand der Princeton University.
Warum Schrödingers Katze nicht funktioniert
Sein Ausgangspunkt war eine Eigenheit der Quantenwelt: Ein Elementarteilchen, beispielsweise ein Elektron, kann sich in zwei oder mehreren Zuständen gleichzeitig befinden – aber nur, solange es dabei nicht beobachtet wird. Diese Überlagerung bricht in dem Moment zusammen, indem man den Zustand zu messen versucht. Die mathematische Wellenfunktion, deren Form alle möglichen Zustände und ihre Wahrscheinlichkeiten beschreibt, „kollabiert“ und lässt nur noch einen Zustand übrig – welchen, ist dabei reiner Zufall.
Bekannt ist dieses Prinzip heute vor allem durch das Bild von Schrödingers Katze, dem armen Tier in seiner undurchsichtigen Kiste, das so lange sowohl lebend als auch tot sein kann, bis jemand die Kiste öffnet. Diese Überlagerung jedoch funktioniert nur im Reich der kleinsten Teilchen. Deshalb wäre Schrödingers Katze in Wirklichkeit immer entweder tot oder lebendig, egal ob wir in die Kiste schauen oder nicht. Und auch wir sitzen entweder auf unserem Sofa und lesen diesen Text oder wir stehen in der Küche – beides gleichzeitig geht nicht. Oder doch?
{2l}
Verzweigung statt Kollaps
Genau hier kommt Everetts Idee ins Spiel. Was wäre, wenn es auch in der makroskopischen Welt eine Art universelle Wellenfunktion gäbe? Wenn die möglichen Zustände eines Objekts oder sogar einer Welt ebenfalls in Überlagerung wären und damit quasi unbestimmt? Dann würde erst die Beobachtung dafür sorgen, dass ein bestimmter Zustand eintritt. Dabei kollabiert aber nach Everetts Theorie die Wellenfunktion nicht, sondern sie verzweigt sich in verschiedene Abschnitte, die nicht mehr miteinander interagieren können. In einem Zweig dieser Wirklichkeit stehen wir in der Küche, im anderen sitzen wir auf dem Sofa.
In beiden Fällen sind wir uns des jeweils anderen Zustands nicht bewusst, weil wir als Beobachter Teil der Wellenfunktion und damit der jeweiligen Varianten der Wirklichkeit sind. Daraus aber folgt, dass es theoretisch nicht nur eine Welt geben muss, sondern unzählige weitere. Diese Parallelwelten wären allerdings nicht räumlich getrennt, sondern bestehen am selben Ort zu selben Zeit – nur eben in einem anderen Zustand. Oder anders ausgedrückt: „In einem dieser parallelen Universen hätte der Dinokiller-Asteroid die Erde verfehlt, in einem anderen wäre Australien vielleicht von den Portugiesen statt den Engländern kolonisiert worden“, erklärt der Physiker Howard Wiseman von der Griffith University in Brisbane.
Populär, aber umstritten
Obwohl das reichlich fantastisch klingt, steht Everetts Idee quantenmechanischer Parallelwelten der durchaus auf mathematisch-physikalisch soliden Füßen – zumindest theoretisch. Ob das Ganze in der realen Physik passiert, bleibt allerdings zwangsläufig unbekannt. Zu Lebzeiten löst der Physiker denn auch alles andere als Begeisterung bei seinen Kollegen aus. Ganz im Gegenteil: Niels Bohr lässt ihn eiskalt abblitzen, sein Doktorvater distanziert sich von ihm, und Everetts kurz darauf erscheinender Fachartikel wird nahezu ignoriert.
Erst fast 15 Jahre später erlebt Everetts Theorie eine Renaissance. Der US-Physiker Bryce DeWitt entwickelt sie weiter und veröffentlicht dann seine Version im Fachmagazin „Physics Today“. Damit tritt er fast schon eine Lawine los: Seither hat eine ganze Reihe von Forschern die Idee der universellen Wellenfunktion aufgenommen, darunter auch der britische Physiker und Kosmologe Stephen Hawking. Heute ist die sogenannte Viele-Welten-Interpretation sogar eines der gängigen Modelle in der Quantenmechanik – aber umstritten ist sie noch immer.
Nadja Podbregar
Stand: 07.11.2014