Stunden-, bisweilen tagelang grübelt Kilian Fleischer über diesen winzigen verkohlten Textfragmenten – und das seit mehr als zwei Jahren. Warum tut er sich das an?

„Ich finde, die Wiederentdeckung von Literatur, die gut 2.000 Jahre lang als verschollen galt, ist eines der spannendsten Felder in der Klassischen Philologie“, sagt er. Seine Arbeit liefere im Erfolgsfall die Grundlage für weitergehende Forschung und präsentiere Lösungen für Probleme, die zum Teil Jahrhunderte lang diskutiert wurden.
Angst, dass ihm der „Lesestoff“ in nächster Zeit ausgehen könnte, muss Kilian Fleischer nicht haben. Von den gut 1.000 Papyrusrollen, die man aus der Villa dei Papiri in Herculaneum geborgen hat, sind mehr als 300 noch nicht entrollt. Ihnen bleibt der zerstörerische Akt des Entrollens vielleicht sogar erspart. Stattdessen könnten die Rollen Schicht für Schicht durchleuchtet und ausgelesen – quasi virtuell „entblättert“ werden.
Entziffern ohne Entrollen
Bislang steckt diese Technik – das virtual unrolling – zwar noch in den Anfängen, aber in einigen Beispielen hat sie bereits bewiesen, dass sie funktioniert. So gelang es im Jahr 2015 einem Forscherteam, zwei der Papyrusrollen aus Herculaum mittels Röntgen-Phasenkontrast-Tomografie (XPCT) im aufgerollten Zustand zu entziffern. Diese Technik bestrahlt die Probe mit kohärenten – im Gleichtakt schwingende – Röntgenstrahlen.