Zoologie

Volkszählung mit Blutegeln

Warum Blutsauger beim Tierezählen helfen können

Während sich in der Schweiz oder in Südamerika trefflich über die Zahl der noch vorhandenen Luchse oder Jaguare streiten lässt, stellt sich in einem der bedeutendsten Arten-Hotspots der Erde – dem Annamiten-Gebirge an der schier endlos langen Grenze zwischen Laos und Vietnam – Forschern die Frage, was denn überhaupt noch im Dschungel unterwegs ist. Und was noch gar nicht entdeckt ist.

In die Fotofalle gegangen: Saola (Pseudoryx nghetinhensis) © Silviculture/ CC-by-sa 3.0

Saolas – auf der Suche nach Asiens Einhorn

Als 1992 ein Team aus WWF und vietnamesischen Forstbeamten in der Hütte eines Jägers im Grenzgebirge zwischen Laos und Vietnam eine seltsame Jagdtrophäe entdeckte, sollte sich das als zoologische Sensation erweisen. Der mit langen Hörnern bewehrte Tierschädel gehörte einem bislang unbekannten kleinen Dschungelrind. Ein Jahr darauf tauchten die ersten lebenden Exemplare auf und wurden wissenschaftlich beschrieben: Das antilopenähnliche Saola, wörtlich „Spindelhorn“, war die erste Neuentdeckung einer großen Säugetierart seit 1937.

Einzelne eingefangene Saolas verendeten rasch in menschlicher Obhut, Pseudoryx nghetinhensis wurde in Indochinas Annamiten-Bergen bald wieder zum Phantom und firmierte wegen seiner Seltenheit schon als „Asiens Einhorn“. Die Sichtungen und Kamerafallenfotos der folgenden zwanzig Jahre ließen sich an einer Hand ablesen. Zuletzt gesichtet wurde das scheue Saola im September 2013, als es in Vietnam den Infrarotstrahl einer Wildkamera kreuzte.

Für den WWF Vietnam, der seit gut zwei Jahren in den schwer zugänglichen Wäldern der Annamiten den Bestand seltener Tierarten zu erfassen sucht, ist das Foto eine frohe Botschaft. Dennoch ist die Frage, welche Bestände an Saola, Indochinesischem Tiger, endemischen Primaten und anderen gefährdeten Arten es in der Grenzregion zwischen Vietnam und Laos noch gibt, kaum klar zu beantworten. Wissenschaftler und Artenschützer rätseln über die Zahl der verbliebenen Tiger in Indochina und tappten bis vor wenigen Monaten noch im Dunkeln, ob es das Saola überhaupt noch gibt – oder ob es längst der epidemieartigen Wilderei in der Region zum Opfer gefallen ist.

{2r}

„Vampire“ als Forschungshelfer

Eine neue Analysemethode verspricht nun Hilfe bei der Erforschung schwer zugänglicher Lebensräume. Blutegel, so fanden Wissenschaftler heraus, speichern in ihrem Magen monatelang die DNA all ihrer Wirte, deren Blut sie angezapft haben. Die winzigen Vampire der Wälder haften an allen Warmblütern an, die durch die Tropen stapfen. So können sie, einmal eingesammelt und im Labor untersucht, Auskunft geben, wo in den Tropen welches Tier heimisch ist.

Die Methode wurde 2012 erstmals von dänischen Wissenschaftlern im Fachblatt „Current Biology“ vorgestellt. Die Forscher versprechen sich damit ein kostengünstiges, effektives und standardisiertes Verfahren, in Tropenwäldern die noch vorhandene Fauna zu ermitteln. Denn gerade bei Arten, die so wenig bekannt sind wie Saola und Kouprey, heißt es in den Bestandslisten oft: „Data deficient“, keine Daten vorhanden. Das soll sich ändern.

Per Blutegel nachgewiesen: ein Südliches Serau (Capricornis sumatraensis) © gemeinfrei

Erste Erfolge

Der WWF Vietnam hat die neue Forschungsmethode der Blutegel-„Scouts“ nun erstmals im großen Stil zur Feldforschung genutzt. Die Artenschützer aus Hanoi ließen 70 verschiedene Proben mit 710 in der Wildnis der Annamiten aufgesammelten landlebenden Blutegeln untersuchen. Die Ergebnisse sind ermutigend. Unfreiwillige Blutproben hinterließen neben Mensch, Kuh, Wasserbüffel, Hausschwein, Kaninchen und Ratte nicht nur Allerweltsarten wie Sambarhirsch, Wildschwein, Rhesusaffe und Bärenmakak, berichtet Anh Le Thuy, die beim WWF Vietnam den Bereich Zentrale Annamiten leitet.

Die ermittelte Fremd-DNA gibt einen kleinen Querschnitt der Tierwelt Indochinas wieder, darunter auch seltene Arten. Nachgewiesen wurden im Labor unter anderem Kurzschwanz-Stachelschwein, Indischer Muntjak, Chinesischer Sonnendachs, Kleiner Mungo, Hoary-Bambusratte, Chinesisches Schuppentier, Weißbauchratte, Pallashörnchen, das ziegenartige Südliche Serau und der seltene, 1997 erstmals beschriebene Annam-Muntjak, ein Miniaturhirsch. Bloß das Saola hatte keine Blutprobe gegeben – noch nicht.

  1. zurück
  2. |
  3. 1
  4. |
  5. 2
  6. |
  7. 3
  8. |
  9. 4
  10. |
  11. 5
  12. |
  13. 6
  14. |
  15. weiter

Kai Althoetmar
Stand: 25.07.2014

Keine Meldungen mehr verpassen – mit unserem wöchentlichen Newsletter.
Teilen:

In den Schlagzeilen

Inhalt des Dossiers

Volkszählung mit Vampir
Wie neue Techniken die Feldforschung in der Zoologie revolutionieren

Kamerafallen für die "Phantome"
Das Problem beim Zählen scheuer Raubkatzen

Verzerrte Schätzungen
Wanderung der Raubkatzen verfälscht das Ergebnis

"Wissen noch immer dürftig"
Echte Raubkatzenzahlen sind unbekannt

Volkszählung mit Blutegeln
Warum Blutsauger beim Tierezählen helfen können

Genetisches Spurenlesen
Blutegel-Methode könnte Bestands-Ermittlungen revolutionieren

Diaschauen zum Thema

News zum Thema

Zwei Drittel der Arten und Lebensräume gefährdet
Naturschutzministerium veröffentlicht ersten Bericht zur Lage der Natur in Deutschland

Seltenes Waldrind tappt in die Fotofalle
Huftier aus dem vietnamesischen Regenwald ist eine der seltensten Säugetiere der Erde

Bedrohte Wildkatzen sind in Deutschland wieder auf dem Vormarsch
Erste bundesweiter Wildkatzeninventur mit ermutigenden Ergebnissen

Immer weniger Platz für Afrikas Menschenaffen
Lebensräume von Schimpansen, Gorillas und Bonobos schrumpfen um vier Fußballfelder pro Tag

Alpen: Viele Arten aber wenig Gene?
Artenvielfalt und genetische Vielfalt sind oft nicht gekoppelt

Liste der 100 am stärksten bedrohten Arten veröffentlicht
Forscher warnen vor dem Aussterben einzigartiger Pflanzen, Tiere und Pilze

Dossiers zum Thema