Die neue Weltkarte des Freiburger Kartografen Martin Waldseemüller erregt 1507 aber nicht nur auf der Frankfurter Frühjahrsmesse Aufsehen. Auch die gebildeten Schichten der Bevölkerung, darunter viele Wissenschaftler, Seefahrer, Händler und Herrscher, zeigen sich sehr interessiert und beurteilen sie überwiegend positiv.
Nahezu jeder will die Karte haben und sie ausgiebig studieren. Etwa um neue Forschungsexpeditionen und Handelsrouten zu planen oder sich ganz einfach auf den aktuellen Wissensstand zu bringen. Kein Wunder, dass die Karte in der Folge reißenden Absatz findet. Alles in allem werden in relativ kurzer Zeit über 1.000 Kopien angefertigt – eine erstaunliche Zahl für die damalige Zeit.
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Sinnbild für die „Neue Welt“
Mit den Karten verbreitet sich auch der Name America in Windeseile in ganz Europa und wird zum Sinnbild für die „Neue Welt“, sehr zum Leidwesen der Kolumbus-Anhänger, die ein „Columbia“ viel angemessener gefunden hätten. Daran ändert am Ende auch Waldseemüllers Widerruf nichts mehr. Denn im Jahr 1513 legt dieser – warum auch immer – eine korrigierte Fassung seiner Weltkarte vor, aus der der Name America wieder verschwunden ist. Stattdessen steht dort wie früher „Unbekanntes Land“. Am liebsten wäre es Waldseemüller jedoch, wenn die „Neue Welt“ Papageienland oder Brasilien getauft würde.
Amerigo Vespucci selbst bekommt von der „Rolle rückwärts“ des Kartografen nichts mehr mit. Denn er ist bereits am 22. Februar 1512 in Sevilla gestorben, möglicherweise an den Folgen einer Malaria-Erkrankung. Seine letzten Jahre hat Vespucci zuvor in Sevilla in Diensten des spanischen Königs Ferdinand II. verbracht.
Ein Leben als Chef-Pilot
Dieser ernannte den seit einiger Zeit mit Maria Cerezo verheirateten Florentiner im Jahr 1508 nicht nur zum „Chefnavigator des Landes“ – piloto mayor de Indias – sondern stattete ihn darüberhinaus mit einem üppigen Gehalt aus. Zu den Aufgaben Vespuccis gehörte es eine Schule für Navigation zu betreuen, die Lotsen und Steuermänner ausbildete. Ziel war es aber auch, die bekannten Navigationstechniken zu erfassen, zu standardisieren und zu verbessern.
Vespucci selbst besaß einige für die damalige Zeit ungewöhnliche Fähigkeiten bei der Bestimmung der genauen Schiffsposition auf hoher See. Während die Breitengradberechnung nach dem Stand der Sonne für die Seefahrer und Entdecker damals längst kein großes Problem mehr war, sah dies bei der Längengradmessung ganz anders aus. Der Florentiner hatte jedoch auf seinen Reisen eine erste, halbwegs präzise Methode zur Ermittlung der Längengrade entwickelt. Als Piloto mayor verbesserte er diese und gab sie höchstwahrscheinlich auch an seine Schüler weiter.
Pionier bei der Längengradbestimmung
Doch wie genau funktionierte das Verfahren? Vespucci beobachtete auf den Forschungsexpeditionen in die „Neue Welt“ intensiv den Nachthimmel. Aus einem astronomischen Kalender wusste er genau, wann es zu Konjunktionen von Mars und Mond kommt – zu einer Anordnung der beiden Himmelskörper, bei denen diese von der Erde aus gesehen genau in einer Linie stehen. Bei der Beobachtung dieser Phänomene fiel ihm folgendes auf: „[…] eines Nachts, am 23. August 1499, gab es laut dem Kalender um Mitternacht oder eine halbe Stunde davor eine Konjunktion von Mond und Mars. Ich entdeckte jedoch, dass […] um Mitternacht die Marsposition 3,5 Grad weiter östlich lag.“ Aus dieser Abweichung zwischen der vorhergesagten und tatsächlichen Position konnte er anschließend grob den erreichten Längengrad auf See herleiten.
Vespuccis neue Methode setzte sich jedoch nicht in großem Maßstab durch. Und das aus gutem Grund. Denn sie funktionierte nur beim Eintritt der besonderen astronomischen Konstellation. Diese aber ist eher ein Ausnahmefall. Zwischen zwei Bedeckungen des Mars durch den Mond können beispielsweise mehr als zehn Jahre liegen. Zudem musste man die präzise Uhrzeit vor Ort und die Referenzzeit an Land am Null-Meridian kennen, um den Längengrad berechnen zu können. Wirklich genau funktionierende Schiffschronometer wurden jedoch erst 250 Jahre später vom Schotten John Harrison entwickelt. Schließlich benötigte man für die lang andauernden und umfangreichen Arbeiten einen äußerst stabilen Standort. Ein solcher war an Bord eines kleinen, beständig schlingernden und rollenden Schiffes – vor allem bei rauer See – jedoch nur selten vorhanden.
Tod im Alter von 48 Jahren
Vespucci war in Sevilla aber nicht nur mit der Ausbildung einer neuen Generation an Steuermännern beschäftigt, sondern auch für die Pflege des Padrôn Real zu ständig. Dabei handelt es sich um eine streng geheime Generalkarte Spaniens, die alle aktuellen geografischen Informationen enthielt und ständig aktualisiert werden musste.
Der Florentiner war froh und stolz über seine neuen Aufgaben, denn sie erforderten eine Menge Fachwissen. Vespucci fasste seine Qualifikationen selbst mit einiger Arroganz so zusammen: „Ich war kundiger als alle Schiffskollegen in der ganzen Welt“. Da sein neuer Job ihm neben viel Anerkennung, ein standesgemäßes, sorgenfreies Leben garantierte, erfüllte er ihn mit großem Einsatz bis zu seinem Tod kurz vor Vollendung seines 49. Lebensjahres.
Dieter Lohmann
Stand: 09.06.2011