Sao Paulo kann mit europäischen Städten nicht verglichen werden. Auch das enorme Wachstum im 20. Jahrhundert ist für Europäer kaum vorstellbar. Hinzu kommt, dass die Stadt nahezu geschichtslos erscheint. Was das angeht kann man Parallelen zu den explosionsartig wachsenden Mega-Cities in Asien und Afrika ziehen.
Ein alter historischer Stadtkern existiert nicht mehr, er wurde schon um 1920 vollkommen überformt. Das heutige Zentrum der Stadt, die Avenida Paulista, sieht aus wie in fast allen Mega-Cities: unterschiedlich hohe und alte Wolkenkratzer reihen sich aneinenander, durchschnitten von Schneisen vielspuriger Stadtautobahnen.
Die City präsentiert die imposanteste Hochhauskulisse Südamerikas. Aber ein Zentrum im europäischen Sinne ist sie nicht, da es bloß eine Ansammlung von Verkehr und Finanzdienstleistungen ist. Auffallend ist, dass kaum Gebäude existieren, die älter als 30 Jahre sind. Zehn Jahre ist hier schon ein hohes Alter für ein Gebäude, und entsprechend verfallen und verwahrlost sehen diese meistens auch aus. Dafür schießen zahlreiche neue Wolkenkratzer aus dem Boden. An der Avenida Paulista, der ältesten Prachtstraße Sao Paulos, befanden sich früher die Paläste der Kaffebarone und Großindustriellen, heute sind hier nur noch große, sterile und monotone Bürotürme von Banken, Versicherungen und anderen großen Konzernen angesiedelt.
Die Avenida Paulista verläuft mehrere Kilometer durch die Stadt, allerdings ist es entscheidend welche Seite man wählt. Denn die eine Seite führt nach Jardins, dem Villenviertel Sao Paulos, die andere Seite aber führt hinab zum ehemaligen Zentrum, das sich immer mehr in einen Slum verwandelt hat. Ältere, leerstehende oder auch noch nicht fertig gestellte Hochhäuser werden von Obdachlosen besetzt. Das führte inzwischen zu einer Abwanderung der hier vorher ansässigen Wirtschaft und einer Abwertung des gesamten Innenstadtbereiches.
Ähnlich wie in L.A. ist dieser Teil der Stadt auch fest in der Hand von Jugendbanden und anderen Kriminellen, während auf der anderen Seite der Avenida Paulista, diese vertrieben werden und sogar gar nicht erst das Recht hätten den Bürgersteig zu betreten.
Ungehemmter Bauboom
Angesichts der chaotischen Strukturen und dem ungehemmten Bauboom scheint es so etwas wie Flächennutzungs-, Raumordnungspläne oder Stadtentwicklungsprogramme nicht zu geben. Es wird gebaut wo Platz ist, wo und wie man will, Hauptsache es ist genügend Geld vorhanden. Die Stadtentwicklung unterliegt keinerlei Gesetzen, sinnvoll geplante Strukturen existieren hier nicht.
Dieses fällt einem auch bei der Platzierung der Gebäude und beim Straßenverlauf auf, der hier überwiegend nicht schachbrettartig ist, sondern auf örtliche Gegebenheiten Rücksicht nimmt und individuell gestaltet ist. Das System ist typisch und passend für eine mittelalterliche Kleinstadt, aber höchst ungeeignet für eine Mega-City mit den Ausmaßen von Sao Paulo, in der dadurch wirkliche große Durchgangsachsen für das enorme Verkehrsaufkommen der riesigen Metropole nicht vorhanden sind.
Stand: 19.05.2001