In unserem Alltag sind wir umgeben von unzähligen endlichen Dingen und Erfahrungen: Objekte haben eine klar definierte Form und Grenze, Zeiteinheiten takten unseren Tag und auch wir selbst haben ein endliches Leben vor uns. Doch im täglichen Leben begegnen uns auch Unendlichkeiten – meist ohne, dass wir es bemerken.
Vom Kreis zu infinitesimalen Teilen
Ein Beispiel für „alltägliche“ Unendlichkeit ist der Kreis oder die Kugel: Mathematisch gesehen hat jeder Kreis unendlich viele Seiten, er besteht gleichzeitig aus unendlich vielen Punkten. Egal, wie nahe man heranzoomt, es kommen immer neue hinzu. Kein Wunder daher, dass auch die Kreiszahl Pi unendlich viele Stellen hinter dem Komma hat. Deswegen ist auch die sprichwörtliche „Quadratur des Kreises“ unmöglich: Man kann auf einem Kreis kein Quadrat mit genau demselben Flächeninhalt konstruieren.
Auch eine Gerade ist – anders als eine Strecke – unendlich: Sie hört nirgendwo auf und enthält mathematisch gesehen unendlich viele Punkte. Und selbst ein vermeintlich simpler Bruch wie 1/3 repräsentiert die Unendlichkeit: Schreibt man ihn als Dezimalzahl, hören die Stellen nach dem Komma nicht auf. Daraus folgt auch eine weitere, schwer fassbare Unendlichkeit: Teilt man den Zahlenraum zwischen Null und Eins durch Brüche immer weiter auf, kommt man nie an ein Ende. Denn so klein die Brüche und ihre Abstände auch werden, es gibt immer noch einen Bruch dazwischen. Zwischen Null und Eins – und auch jedes beliebige andere Zahlenpaar – passen daher unendlich viele Unterteilungen.
Fraktale Unendlichkeiten
Unendlichkeit begegnet uns auch in fraktalen Strukturen ähnlich den Zacken eines Schneekristalls, der Länge einer Küstenlinie oder einem verzweigten Baum oder Flusssystem. In der Natur sind diese selbstähnlichen Muster zwar begrenzt – spätestens auf der Ebene einzelner Atome ist Schluss. Beschreibt man diese Formen jedoch mathematisch-geometrisch, lassen sich die immer kleiner werdenden Unterteilungen unendlich fortsetzen.
Ein klassisches Beispiel dafür ist die Koch-Kurve – die Linie, die das Auszacken des Schneekristalls beschreibt. Ihre typische Zackenform entsteht, indem man die Linie eines gleichseitigen Dreiecks immer wieder durch Knicke in weitere gleichseitige Dreiecke unterteilt. Mathematisch lässt sich dies unendlich weitfortsetzen, weil die dazugehörende Funktion auf einen Grenzwert zuläuft – ihn aber nie erreicht.
Die Unendlichkeit der Singularitäten
Blickt man ins Weltall, finden sich weitere Unendlichkeiten – sowohl im Großen wie im Kleinsten. Die erste findet sich schon im Urknall, als sämtliche Energie, Strahlung und Materie in einem Punkt unendlicher Dichte konzentriert waren. Dessen Merkmale lassen sich mit gängiger Physik nicht beschreiben, weshalb man von einer Singularität spricht. Sogar die Zeit des Uranfangs läuft auf einen Grenzwert zu, der wahrscheinlich nie Null wird – und daher unendlich klein ist. „Es gibt keinen allerersten Moment in der Zeit, ähnlich wie es keine kleinste positive Zahl gibt“, erklärt der Physiker John Mather vom Goddard Space Flight Center der NASA.
Unendlich dicht ist der Theorie nach auch das Zentrum eines Schwarzen Lochs. Dessen Eigenschaften sind nicht mehr mit den Gleichungen der Allgemeinen Relativitätstheorie beschreibbar und daher ebenfalls eine Singularität. Die enorme Schwerkraft des Schwarzen Lochs krümmt die Raumzeit so stark, dass sich diese Krümmung einem Grenzwert annähert, ihn aber nie erreicht – sie ist möglicherweise unendlich groß. „Sehr nahe an dieser Singularität werden wahrscheinlich Quanteneffekte wichtig, aber wir haben bisher keine Quantentheorie der Gravitation, die dies beschreiben könnte“, erklärt der Astrophysiker Robert Wald von der University of Chicago.
Grenzenloses Universum?
Ebenso ungeklärt ist die Ausdehnung des Universums, denn auch dieses könnte gängiger Annahme nach unendlich sein – auch wenn sich dies nicht direkt belegen lässt. Denn das für uns beobachtbare Universum reicht „nur“ rund 46 Milliarden Lichtjahre weit hinaus, weil nur die Strahlung von Objekten dieser Entfernung seit dem Urknall vor rund 13,8 Milliarden Jahren genügend Zeit hatte, um bei uns anzukommen. Durch die Expansion der Raumzeit liegt dieser Beobachtungshorizont weiter von uns entfernt als die intuitiv annehmbaren 13,8 Milliarden Lichtjahre.
Was jedoch hinter diesem Beobachtungshorizont liegt, ist offen – und möglicherweise unendlich. „Es gibt keinen Hinweis auf einen Rand des Universums, keinen Ort, an dem Materie oder Raum aufhören“, erklärt John Mather. „Das Universum scheint heute unendlich zu sein – wahrscheinlich war es das sogar schon immer.“ Allerdings ist dies bisher nur eine Vermutung, denn messen lässt sich dies nicht.