Könnte man das Wasser aus Atlantik und Nordsee ablassen, so käme eine bizarre Gebirgslandschaft zum Vorschein. Ein Wanderer hätte auf dem Meeresboden enorme Hindernisse auf seinem Weg von der Küste bis zur Tiefsee zu überwinden. Dabei würde alles so harmlos anfangen. Startpunkt der fiktiven Reise ist die Elbmündung bei Cuxhaven. Jeder, der schon einmal bei Ebbe an der Nordsee war oder sogar eine Wattwanderung gemacht hat, weiß was ihn erwartet: Schlick und Sand und endlose Weiten.
Erdöllager Wattenmeer
Das Wattenmeer gehört zum so genannten nordeuropäischen Schelf mit einer maximalen Wassertiefe von rund 200 Metern. Solche Flachwasserbereiche gibt es an fast allen Küsten dieser Erde. Sie machen insgesamt etwa acht Prozent der Meeresfläche aus. Der Boden der Nordsee ist ebenso wie das norddeutsche Tiefland von den Eiszeiten geprägt und wurde einst von mächtigen Gletschern förmlich glattgebügelt. Trotz ihrer heutigen Wasserbedeckung bestehen die Schelfe aus kontinentaler Kruste und gehören somit aus geologischer Sicht nicht zu den Ozeanen. Durch Meeresspiegelschwankungen fielen die Schelfe im Laufe der Erdgeschichte immer wieder trocken und sind heute von mächtigen Sedimentschichten bedeckt. In den Schelfen aller Weltmeere verbergen sich zudem schätzungsweise 30 Prozent der globalen Erdölreserven.
Felsenturm Helgoland
Auf der Reise durch die Deutsche Bucht kommt auch schon bald die Bohrinsel Mittelplate in Sicht: riesige, muschelbehaftete Betonwände ragen aus dem Meeresboden und tragen eine große Förderplattform. Fest verankert trotzt diese kleine Festung den rauen Stürmen und der Kraft der Wellen. Mehr als zwei Millionen Tonnen Erdöl fördern hier die beteiligten Firmen jedes Jahr aus zwei Kilometern Tiefe an die Oberfläche. Von hier ist es auch nicht mehr weit, bis schon die rote Felsnadel der Insel Helgoland in Sicht kommt. Der imposante Felsenturm aus Buntsandstein ragt vom Grund des Meeres knapp einhundert Meter in die Höhe und bildet Deutschlands einzige Hochseeinsel.
Auf dem leicht hügeligen Meeresgrund geht es danach langsam aber stetig weiter abwärts. Blauschlick bedeckt den Boden, eine Mischung aus toter organischer Substanz und feinen Tonen und Sanden. Seine dunkle blaugraue Farbe erhält dieses Sediment durch die Zersetzungsarbeit von Mikroorganismen und den hohen Anteil an Eisensulfiden. Bald schon ist die Doggerbank erreicht, eine der größten Untiefen in der Nordsee. Rund 250 Kilometer von der deutschen Küste entfernt und auf der Höhe von Schottland ist das Meer dank dieser riesigen Sandbank nur etwa 15 Meter tief. Bekannt geworden ist die Doggerbank vor allem durch ihren enormen Fischreichtum und zählt somit zu den wichtigsten Wirtschaftszonen in der Nordsee.
Steilwandiger Kontinentalabhang
Dann, kurz hinter den Shetland-Inseln ist es endlich soweit: der Kontinentalabhang ist erreicht. Schwindelerregend, zerklüftet und von schroffen Canyons durchzogen stürzt der Meeresboden fast senkrecht in die Tiefe. Selbt ein erfahrener Alpinist bräuchte an dieser Stelle eine Kletterausrüstung um weiter vorwärts zu kommen. Auch hier bedecken Blauschlick und feine Sedimente den Boden, die immer wieder unvermutet ins Rutschen geraten. Lawinen aus Geröll oder das Abbrechen ganzer Hänge sind keine Seltenheit – ein Problem für so manches Tiefseekabel. Die gewaltigen Bergstürze sorgen immer wieder dafür, dass die Leitungen reißen und ersetzt werden müssen.
Erst in rund 1.700 Metern nimmt das Gefälle wieder ab: der Kontinentalfuß bildet als eine sanft abfallende Hügellandschaft den Übergang zur Tiefsee. Hier sammelt sich der kontinentale Verwitterungsschutt sowie abgestorbene, organische Materialien. Bis zu 1.000 Kilometer breit kann diese Zone sein, bis dann in durchschnittlich 4.000 Metern Tiefe die ausgedehnten Tiefseeebenen beginnen und das Ende der Kontinentalränder markieren.
Stand: 16.12.2005