Seine ersten geglückten Flüge machten Otto Lilienthal zum Star: Journalisten aus dem In- und Ausland berichteten über seine Flüge, die noch junge Technik der Fotografie fing für damalige Verhältnisse sensationelle Bilder des fliegenden Gleiters ein. Physiker und Ingenieure aus aller Welt interessierten sich für Lilienthals aerodynamische Berechnungen und Entwürfe.
Der US-Flugpionier Wilbour Wright schrieb später in einem Aufsatz: „Von allen, die das Problem des Fliegens im 19. Jahrhundert behandelten, war Otto Lilienthal zweifelsfrei der Bedeutendste. […] Niemand tat so viel dafür, das Problem des menschlichen Fluges in die freie Luft zu überführen, wohin es gehört. […] Als Forscher war er unter seinen Zeitgenossen ohne Konkurrenten.“
Akribische Beobachtungen
Was aber war das Besondere an Lilienthals Erkenntnissen und Konstruktionen? Ähnlich wie viele seiner Zeitgenossen suchte Lilienthal bei naheliegenden Vorbildern nach Inspiration für seine Flugapparate: den Vögeln. Er erkannte: „Wir können aus den Formen und Bewegungen der Vogelflügel diejenigen Kräfte konstruieren, welche tatsächlich imstande sind, den Vogel mit den Bewegungen, die er nach unseren Wahrnehmungen ausführt, in der Luft zu tragen und seine Fluggeschwindigkeit aufrecht zu erhalten.“
Durch akribische Beobachtungen verschiedenster Vogelarten in der Luft und systematische Experimente erkannte Lilienthal, dass Form und Bewegung des Flügels für den Vogelflug entscheidend sind. Er stellt fest, dass der dadurch erzeugte Auftrieb den Vogel am Himmel hält, obwohl er schwerer ist als Luft. Damit bewegte sich Lilienthal konträr zu Trend seiner Zeit, in der vor allem der Ballonflug mittels heißer Luft oder leichten Gasen als Voraussetzung für das Fliegen galt.
Die Wölbung macht’s
Noch viel wichtiger aber war eine weitere Erkenntnis Lilienthals: „Es ist nach Einsichtnahme dieser Luftwiderstandsverhältnisse auf den ersten Blick zu erkennen, dass die gewölbten Flügelformen wohl geeignet sind, durch Vorwärtsfliegen ganz bedeutend an Fliegearbeit zu sparen“, schreibt er in seinem 1889 veröffentlichten Buch „Der Vogelflug als Grundlage der Fliegekunst“. Mit anderen Worten: Erst die Wölbung des Flügels sorgt für den nötigen Auftrieb.
In der Theorie hatten dies auch schon andere Zeitgenossen Lilienthals durchaus erkannt. Aber Lilienthal war der erste, der den Zusammenhang von Flügelwölbung und Auftrieb mit systematischen Experimenten und Messungen unterfütterte. Auf ihren Ergebnissen basierend begann Otto Lilienthal dann, Fluggeräte mit verschiedenen Flügelprofilen und Flügelgrößen zu konstruieren und ihre Gleiteigenschaften auszutesten.
„Man hatte den Apparat vollkommen in seiner Gewalt“
Im Jahr 1891 dann baute Lilienthal mit seinem Derwitzer Apparat das erste „manntragende“ Flugzeug. Die Spannweite der mit Baumwollstoff bespannten Flügel betrug 7,6 Meter, ihre Fläche lag bei rund zehn Quadratmetern. Um mit diesem Apparat zu fliegen, zwängte man den Oberkörper durch eine Öffnung zwischen den Flügeln, schnallte sich an und legte die Unterarme in zwei gepolsterte Ablagen und umfasste zwei dort angebrachte Griffe.
„Hierdurch hatte man den Apparat vollkommen in seiner Gewalt und konnte sich in der Luft sicher mit den Armen auf denselben stützen“, berichtete Lilienthal später. Gesteuert wurde das Fluggerät dabei durch Gewichtsverlagerung mittels Bewegungen der Beine und Hüften. „Aber es war auch möglich, im Augenblicke der Gefahr sowohl den Apparat zu lösen, als auch aus demselben sich herabfallen zu lassen.“
Nadja Podbregar
Stand: 12.08.2016