2005 erschien der Bestseller „Die Vermessung der Welt“ von Daniel Kehlmann, ein Roman über die Geodäten Carl Friedrich Gauß und Alexander von Humboldt. Der breiteren Öffentlichkeit sind die beiden Herren zwar eher als Mathematiker und Naturforscher bekannt. Der Buchtitel verweist aber auf die Kernaufgabe der Geodäsie, nämlich das Ausmessen und Abbilden der Erdoberfläche. Und genau das taten die Herren Gauß und von Humboldt im 18. Jahrhundert.
Nicht umsonst zeigte der alte Zehnmarkschein ein norddeutsches Triangulationsnetz samt Sextant: Sie symbolisierten die Vermessungstätigkeiten von Gauß. Seine mathematischen Entwicklungen wurden oft aus seinen praktischen Messtätigkeiten gespeist, zum Beispiel die Schätzmethode der kleinsten Quadrate oder seine Statistik. Letzteres ist auch auf dem alten Zehnerschein symbolisiert, nämlich durch die Gauß’sche Normalverteilung. Auch Alexander von Humboldt war ein aktiver Geodät, hatte er auf seinen Entdeckungsreisen doch immer Vermessungsgeräte dabei.
Der Traum von der globalen Vermessung
Geodäten haben schon immer davon geträumt, die Erde als Ganzes vermessen zu können. Der Grundstein dazu wurde vor 150 Jahren vom preußischen General Johann Jacob Baeyer gelegt, als er Delegierte aus Preußen, Österreich und Sachsen 1862 nach Berlin zur Diskussion seines Entwurfs zu einer Mitteleuropäischen Gradmessung einlud. Bald schlossen sich weitere europäische Staaten der Initiative an, was als Geburtsstunde der Internationalen Assoziation der Geodäsie (IAG) gilt. Im Jahr 2013 veranstaltet die IAG in Potsdam zu Ehren von General Baeyer eine große internationale Konferenz.
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Der Traum der globalen Vermessung der Erde wurde allerdings erst im Satellitenzeitalter realisiert. Nur von Satelliten aus besteht überhaupt die Chance, die Erde gleichmäßig, mit homogener Genauigkeit und in einem beschränkten Zeitraum zu vermessen. Schon aus den ersten Sputnik-Bahnbeobachtungen konnte die Erdabplattung genauer bestimmt werden als aus allen terrestrischen Messungen der Jahrhunderte davor. Danach entwickelte sich die Satellitengeodäsie in einem rasanten Tempo. Man denke nur an die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Möglichkeiten, die globale satellitengestützte Navigationssysteme wie das US-amerikanische GPS oder das künftige europäische Galileo bieten.
Erdbeobachtung für die Klimaforschung
Die Notwendigkeit kontinuierlicher Erdbeobachtung wird durch die aktuelle Debatte um den globalen Wandel unterstrichen. Man liest zwar regelmäßig in der Zeitung, dass der Meeresspiegel ansteigt. Wie misst man aber zuverlässig solche kleinen Änderungen von nur etwa drei Millimetern pro Jahr, wenn man überlegt, dass Wellen und Gezeiten um einige Größenordnungen größer sind? Und wo kommt das Wasser her? Teils erklärt sich der Meeresspiegelanstieg durch thermische Ausdehnung: Wenn die mittleren Temperaturen steigen, dehnt sich auch das Wasservolumen aus. Zum Großteil erklärt sich der Meeresspiegelanstieg aber durch eine großskalige Verlagerung der Wasser- und Eismassen im globalen Wasserkreislauf.
In der Debatte um den Klimawandel haben Kollegen des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK) den Begriff der „tipping points“ geprägt. Dies sind kritische Indikatoren des Klimasystems insgesamt. Zum Beispiel beobachten geodätische Satelliten seit einigen Jahren eine beschleunigte Abschmelzung des Grönländischen Eisschildes. Ohnehin spielt die Satellitengeodäsie bei etwa der Hälfte der „tipping points“ , eine wichtige Beobachtungsrolle. Vermessen werden die entscheidenden Parameter dabei mit Hilfe von zwei unterschiedlichen geodätischen Satellitensystemen.
Nico Sneeuw, Mohammad J. Tourian, Balaji Devaraju / Universität Stuttgart
Stand: 06.09.2013