Am Niederrhein ist sie noch in Erinnerung, die Flut von 1809. Über 300 Gebäude wurden zwischen Emmerich und Kleve zerstört, 22 Menschen fanden den Tod, unter ihnen auch Johanna Sebus. Deren Name wäre sicherlich in Vergessenheit geraten, wenn ihr nicht der von ihrer selbstlosen Tat tief bewegte Goethe ein poetisches Denkmal gesetzt hätte. Denn Johanna rettete mit dem Mut der Verzweiflung mehrere Menschen aus der nächtlichen Flut – und kam selbst dabei ums Leben.
„Der Damm zerreißt, das Feld erbraust,
Die Fluten spülen, die Fläche saust.
`Ich trage dich Mutter, durch die Flut,
Noch reicht sie nicht hoch, ich wate gut.´“
Tragisch aber auch zeitlos erscheint uns heute, zweihundert Jahre später, dieses Ringen der Menschen mit der Naturgewalt Hochwasser. Ohne Frühwarnsysteme und häufig mit zu niedrigen oder zu schwachen Deichen forderten die jährlichen Überschwemmungen allzu oft Menschenleben oder vernichteten die lebensnotwendige Ernte. Die Eindeichung des Rheins mag aus heutiger Sicht viele Nachteile mit sich gebracht haben, aber für die damaligen Menschen waren sie sicherlich eine lebensrettende Errungenschaft.
„Der Damm verschwand, ein Meer erbrausts,
Den kleinen Hügel im Kreis umsausts.
Da gähnet und wirbelt der schäumende Schlund,
Und ziehet die Frau mit den Kindern zu Grund;“
Die ersten Deichanlagen des Niederrheins ließ ein Klever Graf im 13. Jahrhundert errichten. Diese frühen Deiche ähnelten allerdings eher kleinen Wallanlagen und sind mit den heutigen Bollwerken nicht zu vergleichen. Zudem waren bis Mitte des 18. Jahrhunderts diese Eindeichungen lokal begrenzt. Nur wenn ein Fürst es für nötig hielt oder sich die betroffene Bevölkerung zu Deichverbänden zusammenschloss, konnten Dörfer und Felder geschützt werden. Ansonsten siedelten die Menschen auf natürlichen Erhebungen oder mussten die wiederkehrenden Ernteeinbußen hinnehmen.
„Noch einmal blickt sie zum Himmel hinauf,
Da nehmen die schmeichelnden Fluten sie auf.
Kein Damm, kein Feld! Nur hier und dort
Bezeichnet ein Baum, ein Turm den Ort.“
Erst Friedrich II. erließ 1767 als preussischer König das „Clever Deichreglement“ zur Vereinheitlichung des Deichbaus. Die lokal vorhandenen Schutzwälle wuchsen in den folgenden Jahren zu einer langen Deichlinie, die den gesamten Niederrhein schützen sollte. Doch schon 1784 wurde dieses technisch und organisatorisch ehrgeizige Projekt in Frage gestellt: ein verheerendes Winterhochwasser durchbrach den Deich an 118 Stellen: Sowohl der Altmarkt in Köln als auch weitere 14 Städte und 18 Dörfer standen unter Wasser. Über 1.000 Menschen mussten damals ihr Leben lassen. Die weitere Besiedlung des Niederrheins erschien jedoch ohne Deiche unmöglich, so dass Preussen die staatliche Förderung des Deichbaus einführte. Durch ständige Pflege, Erhöhung und Ausbesserungen konnte die Deichanlagen ständig verbessert werden. Seit 1926 ist der Niederrhein von Deichbrüchen verschont geblieben. Und hoffentlich bleibt auch in Zukunft das tragische Schicksal einer Johanna Sebus nur noch in Goethes Versen präsent.
(In Fett: Auszüge aus Goethes Gedicht „Johanna Sebus“)
Stand: 12.02.2004