Unter anderem als Reaktion auf Lovelocks Daisyworld-Modell, begannen sich die harten Fronten in der wissenschaftlichen Gaia-Debatte langsam aufzuweichen: 1988 sponsorte die amerikanische Geophysikalische Union eine erste große internationale Konferenz zur Gaia-Hypothese und setzte damit ein entscheidendes Zeichen: Gaia durfte nun auch in der wissenschaftlichen Welt offiziell diskutiert und zur Kenntnis genommen werden.
Obwohl die Diskussionen höchst kontrovers verliefen, und die Gaia-Hypothese keineswegs in Gänze anerkannt wurde, führten sie doch zu einem allmählichen Paradigmenwechsel in den Geowissenschaften: Erstmals unterstützte nun auch die etablierte Geowissenschaft die Vorstellung, dass wohl tatsächlich auch die Lebenswelt des Planeten entscheidenden Einfluss auf bestimmte Aspekte der abiotischen Welt haben musste.
Diese Entscheidung glich einem Dammbruch: Eine wahre Flut von Projekten, die die Interaktionen zwischen belebter und unbelebter Welt untersuchten, ging an den Start und zahlreiche Veröffentlichungen in Science, Nature und weiteren renommierten wissenschaftlichen Journalen folgten.
Andere Aspekte der Gaia-Hypothese allerdings blieben und bleiben bis heute weiter umstritten, so beispielsweise die Vorstellung einer echten Ko-Evolution zwischen biologischen und nicht-biologischen Systemen. Aber auch die homöostatische Regelung der abiotischen Faktoren durch direkte negative Rückkopplungen von seiten der Lebenswelt sorgen weiterhin für Diskussionsstoff.
Dennoch: Trotz seiner bis heute umstrittenen und nicht anerkannten „organismischen“ Aspekte hat Gaia in der Forschungslandschaft deutliche Spuren hinterlassen – nicht von ungefähr ist „System Erde“ inzwischen einer der Kernbegriffe der Geowissenschaften. Auch im System Erde steht die Erforschung der Austauschprozesse von Masse und Energie zwischen den interagierenden Sphären Biosphäre, Atmosphäre, Lithosphäre und Hydrosphäre im Vordergrund. Allerdings wird dabei – in Abgrenzung zu Gaia – die Erde „nur“ als System, nicht aber als ein lebendiger Organismus betrachtet.
Doch der mittlerweile über 80-jährige Lovelock ist nach wie vor optimistisch, auch die noch umstrittenen Aspekte seiner Theorie eines Tages vollständig anerkannt zu sehen: „Es war ein schmerzhafter Kampf. Aber das ist keine Überraschung. Wenn Sie eine große Theorie beginnen, wie die Quantenmechanik, die Plattentektonik, die Evolution, dauert es im allgemeinen rund 40 Jahre für die Mainstream-Wissenschaft, um sie anzuerkennen. Gaia existiert erst seit etwa 30 Jahren…“
Stand: 21.01.2003