Bereits kurz nach ihrer Entdeckung wurden die Röntgenstrahlen in der Medizin eingesetzt. Das Bild von Frau Röntgens Hand hatte von Anfang an vor allem Ärzte begeistert – sie schienen damit ihrem alten Traum vom gläsernen Menschen einen bedeutenden Schritt näher gekommen zu sein. Tatsächlich wurde es durch das Röntgen erstmals möglich, Organe und Knochen zu untersuchen, ohne den Körper aufschneiden zu müssen.
Im Laufe der Zeit wurde die Röntgentechnik immer weiterentwickelt. Methoden wie die Computertomografie (CT) erweiterten das Spektrum der Einsatzmöglichkeiten und verbesserten die Auflösung der Bilder. Sogar Röntgenbilder in 3D und in Farbe sind heute möglich. Dabei bilden die Aufnahmen längst nicht mehr nur Knochenbrüche ab. Selbst feine Haarrisse oder Krebstumore lassen sich inzwischen erkennen.
Blick ins Material
Allein in Deutschland werden nach Berechnungen des Bundesamts für Strahlenschutz jedes Jahr rund 140 Millionen Röntgenuntersuchungen in Arztpraxen und Krankenhäusern durchgeführt. Doch Röntgenstrahlen kommen auch in ganz anderen Bereichen als der Medizin zum Einsatz. In der Industrie spielen die elektromagnetischen Wellen zum Beispiel eine wichtige Rolle, um Produkte und Materialien auf Herz und Nieren zu prüfen – vom Hightech-Kunststoff bis hin zur Metalllegierung.
Auf dreidimensionalen Röntgenbildern lassen sich unter anderem unerwünschte Lufteinschlüsse erkennen oder die Ausrichtung von Materialfasern. „Mit dem Röntgen-CT können wir etwa die Ausrichtung von Glasfasern in Verbundwerkstoffen veranschaulichen, was wiederum Rückschlüsse auf Eigenschaften wie die Stabilität zulässt“, erklärt Heinrich Leicht vom Kunststoff- Zentrum in Würzburg.
Versteckten Bildern auf der Spur
Auch Kunstexperten setzen längst auf die Durchleuchtung. Weil Farbpigmente aus unterschiedlichen Epochen Röntgenstrahlung jeweils anders absorbieren, können auf diese Weise zum Beispiel Fälschungen enttarnt oder Originale als echt bestätigt werden –ohne die Werke auch nur im Geringsten zu beschädigen.
Mitunter treten beim Röntgenblick ins Bild echte Überraschungen zutage. So haben Forscher jüngst eine verborgene Krippenszene in einem Gemälde aus dem 16. Jahrhundert entdeckt, unter einem Frauenbildnis von Picasso kam das übermalte Landschaftsbild eines Malerkollegen zum Vorschein und auch bei Werken von Edgar Degas und Rembrandt wurden mithilfe von Röntgenstrahlen bereits Bilder im Bild aufgespürt.
Signale aus dem All
Ähnlich spannende Entdeckungen macht die Röntgentechnik in der Archäologie möglich: An welchen Krankheiten litten Menschen vor Tausenden von Jahren, wie kamen Mumien zu Tode und aus welchen Materialien sind antike Objekte angefertigt? All diese Fragen kann die Radiologie beantworten.
Auch in anderen Wissenschaften machen Röntgenstrahlen sichtbar, was dem Auge sonst verborgen bleibt: Klimaforscher nutzen sie zum Beispiel, um durch die Aufnahmen von Wachstumsringen von Korallen Rückschlüsse auf den Wandel von Umweltbedingungen ziehen zu können. Und Astronomen erforschen mit der Hilfe dieser Strahlung Phänomene des Weltalls. Denn bei vielen energiereichen Prozessen im Kosmos wird Röntgenstrahlung frei.
Zur vielfältigen Bedeutung dieser Strahlung für die Wissenschaft hat der deutsche Physiker Walter Gerlach einmal geschrieben: „Alles, was wir über die belebte und unbelebte Materie wissen – vom Bau der Atome über die Kristalle der Natur und die Werkstoffe der Technik bis zu Gen und Chromosom – haben uns die Röntgenstrahlen gelehrt.“