Seit 2000 Jahren ranken sich Legenden um Monster und Meeresungeheuer, die angeblich in den Tiefen der Ozeane hausen und auf menschliche Beute warten. Gewaltige Kraken, die Schiffe mit samt der ganzen Mannschaft zu sich in die Tiefe ziehen, riesige Seeschlangen die Seeleute in Angst und Schrecken versetzen. Dies waren lange Zeit die Vorstellungen, die sich die Menschen von der Tiefsee gemacht haben. Zu wenig wusste man damals wirklich von dem geheimnisvollen Lebensraum in völliger Dunkelheit und eisiger Kälte. Erst in den letzten 100 Jahren hat mit der Erforschung der Meere auch das Wissen um die Geschöpfe der Ozeane zugenommen.
Beruhen viele der angebliche Meeresungeheuer auch tatsächlich mehr auf Seemannsgarn und vagen Vorstellungen, einige der beschriebenen Fabelwesen gibt es auch noch in der Wirklichkeit. Nur sind sie bei näherer Untersuchung meist bei weitem nicht so gefährlich, wie die frühen Beschreibungen zu vermitteln versuchen.
„Meeresungeheuer“?
In 300 bis 600 Meter Wassertiefe lebt beispielsweise der sogenannte Riemenfisch. Das geheimnisvolle „Meeresungeheuer“ wird in der Tat bis zu 10 Metern lang, ist aber ansonsten völlig harmlos. Nur gelegentlich gelangt es an die Meeresoberfläche. Wenn man den Fisch zu Gesicht bekommt, kann man sich allerdings durchaus vorstellen, dass er aufgrund seines Aussehens von den frühen Seefahrern für eine gefährliche Seeschlange gehalten wurde.
Viel bekannter und auch berühmter als der Riemenfisch sind die Riesenkraken oder Riesenkalmare. Die Tiere der Gattung Architeuthis erreichen einschließlich der Fangarme eine Länge von mehr als 22 Metern und sind damit die größten Weichtiere der Erde.
Schallplattengröße haben die Saugnäpfe an den Tentakeln, die riesigen Augen können sogar 40 cm Durchmesser erreichen. Mehr als eine Tonne kann ein solches Tier auf die Waage bringen. Kein Wunder, dass ein ausgewachsener Riesenkalmar kaum Feinde hat. Nur der Pottwal dringt bis in seinen Lebensraum vor und vermag sich mit ihm anzulegen. Auf dem Speiseplan von Architeuthis selbst stehen in erster Linie Fische und kleinere Tintenfische.
So gigantisch alles an diesem Organismus auch sein mag – selbst der Penis kann eine Länge von einem Meter erreichen – zum Meeresungeheuer und Menschenkiller taugen auch diese Tiere nicht. Allein schon deshalb, weil sie in der Regel nicht mit Menschen in Berührung kommen: Ihr Lebensraum ist die Tiefsee zwischen 300 und circa 2000 Metern, weit ausserhalb jeder normalen menschlichen Reichweite. Nur wenn die Riesenkalmare Nachwuchs bekommen, kommen sie in die höheren Meeresschichten.
Sexuelle Vorratswirtschaft
Wie finden aber die Riesentintenfische in der dunklen, kalten Welt der Tiefsee zur Paarung zueinander? Welche besonderen Rituale haben sich dabei entwickelt?
Vorratswirtschaft ist hier das Stichwort. Die männlichen Riesenkalmare nutzen die wenigen eher zufälligen Begegnungen mit einem weiblichen Geschlechtspartner in der Tiefsee, um bis zu 20 Zentimeter lange Samenbehälter, sogenannte Spermatophoren, im Körper der Weibchen abzulegen. Ob die Weibchen schon geschlechtsreif sind, spielt dabei anscheinend keine große Rolle. Zur Not bleiben die Spermatophoren halt so lange deponiert, bis die Eier des Weibchens reif sind. Auch der Ort der Injektion ist wohl sekundär. Man hat schon in Fangarmen oder anderen weit vom Geschlechtstrakt entfernt liegenden Organen der Weibchen Samenbehälter gefunden. Wie die Samen dann zu den Eiern gelangen? Die Wissenschaftler stehen in dieser Frage auch heute noch vor einem Rätsel.
Überhaupt weiß man nicht allzuviel über die Lebensgewohnheiten der Riesentintenfische. Lediglich 200 Tiere hat man lediglich weltweit bisher gefangen oder entdeckt, an denen man Untersuchungen vornehmen konnte. Und auch in den Focus der Kameras der Tauchboote geraten die Meeresriesen – wenn überhaupt – nur zufällig.
Für den Menschen hat der Gigantismus der Riesenkalmare übrigens durchaus Vorteile. Vor allem in einigen Forschungsbereichen weiß man die besonderen Qualitäten der Tiere zu schätzen. So groß wie der Rest seines Körpers sind nämlich auch die Nervenbahnen von Architeuthis. Die ersten Forscher verwechselten sie deshalb sogar mit Blutgefäßen. Ein ideales Objekt für nervenphysiologische Untersuchungen also. Viele Forschungsergebnisse in diesem Bereich beruhen nicht zuletzt auf Studien, die an den wenigen bisher gefangenen Riesentintenfischen vorgenommen worden sind.
Stand: 20.01.2000