Die ersten Schwierigkeiten beim Bau des Tempels tauchten schon gleich zu Beginn auf. Da das Gebiet um Ephesos erdbebengefährdet war, mussten die Baumeister sich eine Stelle suchen, wo das größte Heiligtum von Ephesos verhältnismäßig sicher stand. Der Tempel der Göttin Artemis sollte schließlich „keine Erdbeben spüren und keine Erdrisse fürchten“, wie der römische Dichter Plinius schrieb. Die Architekten entschieden sich schließlich für ein mooriges Gebiet, da sie hofften, dass der weiche Untergrund die Erdstöße abfangen würde.
Die verschiedenen Probleme bei der Konstruktion belasteten den Baumeister Chersiphron sehr. Es war ihm schleierhaft, wie er es jemals schaffen sollte die tonnenschweren Steinbalken auf die 18 Meter hohen Säulen emporzuheben. Vermutlich waren es die ersten griechischen Marmorarchitrave, die auf den mächtigen Säulen liegen und die größten jemals erreichten Spannweiten überbrücken sollten.
Einer Legende nach hat Chersiphron aber eine Lösung gefunden. Er stapelte mit Sand gefüllte Körbe zwischen den Säulen bis über die Kapitelle. Indem der Balken mit Winden und Flaschenzügen emporgehoben, und gleichzeitig die unteren Körbe vorsichtig geleert wurden, gelangte der Architrav an den für ihn vorgesehenen Platz. Nur bei dem mittleren Steinbalken, der das stolze Gewicht von 24 Tonnen hatte, wollte es nicht gelingen. Daraufhin beschloss der Baumeister in seiner Verzweiflung sich das Leben zu nehmen. Doch in der darauffolgenden Nacht erschien ihm die Göttin Artemis – zu deren Ehren schließlich der Tempel gebaut wurde – im Traum. Sie hob den tonnenschweren Balken hoch, als wäre er leicht wie eine Feder. Ohne Probleme legte sie den Türsturz auf das Eingangsportals des großen Marmortempels. Am nächsten Morgen, als Chersiphron auf die Baustelle kam, traute er seinen Augen nicht – der wuchtige Steinbalken lag in der Tat an der richtigen Stelle…
Allerdings versäumte es die Göttin einzugreifen, als ihr eigener Tempel später Opfer der Ruhmsucht und des krankhaften Ehrgeizes eines unbedeutenden Ephesiers wurde. In der Nacht des 21. Juni 356 vor Christus brannte so der gesamte Tempel bis auf seine Grundmauern nieder. Auslöser der Katastrophe war der wahnwitzige Herostratos, der den teuflischen Plan hegte durch diese Aktion in die Geschichte einzugehen. Wie besessen und nur mit einer Kanne Öl ausgerüstet muss er bis auf den 20 Meter hohen Dachboden geklettert sein. Die Holzbalken des Dachstuhls brannten in Sekundenschnelle und der Stolz von Ephesos ging in Flammen auf…
Obwohl es danach den Ephesiern verboten war, den Namen Herostratos auch nur in den Mund zu nehmen, wurde sein Name ironischerweise weltweit zum geflügelten Wort. Noch heute wird Zerstörung aus Geltungssucht als „Herostraten-Tat“ bezeichnet.
In den verkohlten Überresten des Tempels fanden Ephesier die fast vollkommen unbeschädigte Statue der Artemis. Das Wunder war Grund genug das Heiligtum wieder neu aufzubauen – dieses Mal aber noch größer und prächtiger und vor allem aus steinernen Gebälk…
Stand: 26.07.2001