Pflanzen erscheinen auf den ersten Blick völlig wehrlos den Fress- oder Nestbau-Aktivitäten von Tieren ausgeliefert zu sein. Schließlich können sie nicht einmal weglaufen und müssen es still über sich ergehen lassen, wenn ihre Blätter gefressen oder kleinere Äste zum Bau eines Nestes abgerissen werden. Ganz so hilflos und unschuldig wie sie aussehen sind Pflanzen aber nicht. Oftmals täuschen sie Tiere, nutzen sie zu ihren Zwecken aus und schrecken nicht mal vor einem Mord zurück…
Nektar gegen Pollen – so lautet die Vereinbarung zwischen Blütenpflanzen und deren bestäubenden Insekten. Während die Insekten die Pollen verbreiten und somit für die Befruchtung sorgen, liefert die Blütenpflanze im Gegenzug süßen Nektar. Nicht alle Pflanzen halten sich aber daran.
Die Blüten des Fliegen-Ragwurz etwa locken männliche Fliegen an, indem sie das Aussehen von Weibchen nachahmen. Dazu produzieren sie auch noch Duftstoffe, die den Sexuallockstoffen der Fliegenweibchen sehr ähnlich sind. Männliche Fliegen bekommen also nichts als zerplatzte Hoffnungen für ihren mitgebrachten Pollen. Bienenorchideen wenden den gleichen Trick an, indem sie den Hinterleib weiblicher Bienen imitieren.
Eine andere Orchideenart, Gongora maculata, bietet Bienen im oberen Teil der Blüte einen alkoholhaltigen Nektar an, der das Insekt sofort betrunken macht. Berauscht fällt es hinab auf den unteren Teil der Blüte. Für mehrere Minuten wälzt sich die Biene auf dem Rücken, um wieder zu sich zu kommen. Dabei bietet sich ausgiebig Gelegenheit zum Austausch der Pollen.
Rafflesia arnoldii, die riesige Blüten mit einem Durchmesser von über einem Meter bildet, täuscht durch die rötliche Farbe und den fauligen Geruch der Riesenblüte totes Fleisch vor. Dadurch werden Fliegen angelockt, die aber kein Fleisch vorfinden, sondern lediglich als Bestäuber benutzt werden.
Ähnlich lockt auch der Aronstab. Sein Kolben gibt Duftstoffe ab, die verwesendes Aas vortäuschen. Angelockte Fliegen stürzen in den glatten ölbeschichteten Kessel der Blüte. Nach unten gerichtete Reusenhaare lassen die Tiere zwar hinein, nicht aber wieder heraus. Die Fliegen sind gefangen. Während sie hilfesuchend im Kessel herumkriechen, befruchten sie die weiblichen Blüten mit mitgebrachtem Pollen. In der Nacht öffnen sich die männlichen Staubblüten und rieseln Blütenstaub auf die Fliegen, damit dieser zur nächsten Blüte getragen wird. Erst jetzt, wo die Bestäubung und die Ausbreitung des eigenen Pollens sichergestellt sind, welken die Reusenhaare. Die Fliegen sind wieder frei – bis sie auf den nächsten Aaronstab reinfallen.
Das alles hört sich noch harmlos an gegen das „Treiben“ der Teufelskralle. Zur Verbreitung ihrer Samen nutzt sie eine Methode, die nicht gerade zimperlich ist. Sobald die Samen reif sind, kommt die verholzte Samenkapsel zum Vorschein, deren dornenartige Krallen nach innen gebogen sind. Tritt ein größeres Säugetier in die Kapsel, so lässt sich diese nicht mehr ablösen. Das Tier schleppt das scharfkantige Gebilde mit sich herum, wobei die Kapsel langsam durchscheuert und die Samen nach und nach frei setzt.
Nicht selten kommt es durch die spitzen Dornen zu Verletzungen, die sich entzünden können und mitunter zum Tod der Tiere führen. Manchmal findet man neben einer jungen Teufelskralle noch die Knochen des Verbreiters. Laut einer Theorie sind die Verletzungen von der Pflanze sogar erwünscht. Sobald sich die Wunde entzündet und das geschwächte Tier Fieber bekommt, sucht es eine Wasserstelle auf, um sich zu kühlen. Hier findet auch der Pflanzensamen günstige Bedingungen zur Keimung.
Dies sind nicht die einzigen Morde, die Pflanzen auf dem Gewissen haben. Sie fangen und fressen Insekten, hindern Keimlinge am Wachstum, parasitieren an anderen Pflanzen oder töten mit Gift. Wehrlos und ausgeliefert sind sie bestimmt nicht.
Stand: 06.06.2002