Mit dem Wachsmodell konnte Bodenschatz zeigen, dass hakenförmige Ränder beim Auseinanderdriften tatsächlich das frisch gehärtete Material dazwischen in Rotation versetzen. Beginnt die Masse sich zu drehen, sammelt sie immer mehr Wachs an. So findet sich altes Wachs im Zentrum der Spirale, junges Material am Rand. Dieselbe Altersstruktur weisen auch die echten Mikroplatten am Meeresboden auf.
Der niederländische Geophysiker Hans Schouten hatte bereits im Jahr 1998 ein solches Wachstumsmodell für die Mikroplatten in der Erdkruste vorgeschlagen. Bodenschatz übernahm Schoutens Berechnungen, um damit das Wachstum seiner Wachsmikroplatten vorauszusagen. Wieder klappte es: Wählte der Wissenschaftler eine bestimmte Vorschubgeschwindigkeit, entstanden Mikroplatten, die in ihrer Größe und Form exakt den vorausberechneten Spiralen glichen.
Apparat soll Modelle für die Tektonik der Erde testen
Bodenschatz ist deshalb überzeugt, dass seine Wachsmaschine tatsächlich das Zeug dazu hat, geologische Prozesse zu modellieren – nicht nur das Mikroplatten-Wachstum à la Schouten, sondern noch andere Spreizungsphänomene am Meeresboden: „Möglicherweise können wir unseren Apparat in Zukunft sogar dafür nutzen, numerische und mathematische Modelle für die Tektonik der Erde und sogar anderer Planeten zu testen“, sagt der Max-Planck-Forscher.
Bodenschatz weiß, dass sein Wachsverfahren dazu aber noch verfeinert werden muss. Daran arbeitet derzeit Will Brunner, ein junger Geophysiker, den Bodenschatz aus Ithaca mitgebracht hat. Brunner will die Eigenschaften des Wachses genauer untersuchen. Festes Wachs ist eine eigentümliche Substanz, die von Experten als mushy bezeichnet wird – ein Zwitterzustand von fest und flüssig. Feine Mikrokristalle sind umgeben von flüssigem Wachs. Brunner will diese Struktur genauer untersuchen, um festzustellen, inwieweit man sie tatsächlich mit dem Material der Erdkruste oder mit Magma vergleichen kann.
Wie beim erstarrenden Vulkangestein ist außerdem die Viskosität des Materials interessant. Denn auch davon hängt das Wachstum der Lithosphärenplatten ab. Brunner hat dafür ein bohrmaschinengroßes Gerät entwickelt, das er Woodpecker (Specht) nennt. Die kleine Maschine ist mit einem nickenden Arm ausgestattet, an dem ein stecknadelfeiner Stößel befestigt ist. Trifft der Stößel auf ein Klümpchen Wachs, misst der Wippmechanismus den Widerstand und damit die Viskosität der Probe.
Wachsmodell ahmt Wirklichkeit nach
Mit der Hilfe von Brunner und anderen jungen Forschern will Bodenschatz seinen Wachssimulator in den kommenden Jahren also noch besser auf das Bezugssystem Erdkruste abstimmen.
„Im Grunde stehen wir ja erst am Anfang unserer Arbeit“, sagt er rückblickend – und gibt sich damit bescheidener als nötig. Denn obwohl er noch an der Feinjustierung der Parameter arbeitet, hat er ganz nebenbei ein neues Licht auf die Dynamik der Erde geworfen. Und auch die unterschiedliche Gestalt Mittelozeanischer Rücken konnte das Wachsmodell nachahmen: Je nach Spreizungsgeschwindigkeit sind die ozeanischen Gebirge nämlich flach, steil aufragend oder von einem Graben durchzogen. Das Wachs verhält sich exakt genauso.
Bodenschatz ist gespannt darauf, was ihm seine Apparatur in Zukunft noch verraten wird. Während er in Göttingen am Aufbau eines Windkanals zur Erforschung von Turbulenzen in der Atmosphäre oder an chaotischen elektrischen Impulsen forscht, die zum plötzlichen Herztod führen, will er seinem Steckenpferd weiter treu bleiben: der Erkundung der Welt im Wachsmodell.
Stand: 28.04.2006