Warnung vor dem „Killervirus“

Droht eine neue weltweite Grippewelle?

Etwa drei Mal innerhalb von 100 Jahren, so haben Wissenschaftler herausgefunden, breiten sich normalerweise Grippeepidemien in kürzester Zeit über die ganze Welt aus. Die Folgen solcher Pandemien können wie bei der „Spanischen Grippe“ zu Beginn des 20. Jahrhunderts verheerend sein. Damals starben bis zu 50 Millionen Menschen weltweit. Aber auch die „asiatische Grippe“ und die „Hongkong-Grippe“ 1957 bzw. 1968/69 waren kaum harmloser und forderten jeweils Hunderttausende von Menschenleben – mindestens.

Ganz typisch für solche Pandemien ist, dass sie in zwei oder mehr Wellen rund um den Globus laufen. Sobald die erste Infektionsrunde langsam abebbt, sucht sich der Virus neue Opfer, die noch nicht immun oder geimpft sind.

Vom Supervirus zur Pandemie

Die Gefahr einer Pandemie droht immer dann, wenn ein besonders aggressiver Erreger auftaucht. Solche „Supermikroben“ können unter anderem dann entstehen, wenn in einem Lebewesen mehrere verschiedene Viren gemeinsam auftreten. Die meisten Erreger verändern ohnehin ihr Erbgut häufig durch Mutationen und können sich so den Umweltbedingungen perfekt anpassen. Treffen sie jedoch zu einer „Virenhochzeit“ im Menschen zusammen, kann es zum „Gene Swapping“, zum Genaustausch kommen, aus dem dann ein ganz neuer Virus mit noch gefährlicheren Eigenschaften hervorgeht.

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Besitzt dieser Supervirus genügend für den Menschen gefährliche Gene, lässt er sich leicht beispielsweise per Tröpfcheninfektion von Homo sapiens zu Homo sapiens weitergeben – die nächste erdballübergreifende Grippeepidemie ist dann möglicherweise nur noch eine Frage der Zeit. Denn nur die wenigsten Menschen weltweit sind durch eine natürliche Immunität vor dem Virus sicher.

Als ideales „genetisches Mischgefäß“ für Grippe- und andere humanpathogene Viren berüchtigt ist nach den Erfahrungen der Wissenschaftler das Schwein. Es verfügt beispielsweise über Andockstellen – Rezeptoren – sowohl für Vogelgrippeviren als auch für die Erreger der menschlichen Influenza. Deshalb ist bei dieser Tierart die Gefahr einer Doppelinfektion und damit auch einer Virenfusion besonders groß. Da in Südostasien Menschen und Nutztiere häufig auf engsten Raum zusammenleben, ist es für Forscher kein Wunder, dass diese Region in den letzten Jahrzehnten immer wieder zu einer Brutstätte für gefährliche Seuchen wie SARS geworden ist.

Ein Virus macht mobil

Was den Wissenschaftlern bei H5N1 jedoch Sorgen macht ist, dass der Virus schon in der Vergangenheit scheinbar immer gefährlicher wurde.

Der Qinghai-See in Zentralchina im April 2005. Unzählige Wildvögel tummeln sich wie immer in und am größten Salzwassersee des Landes. Streifengänse gehören genauso dazu wie Fischmöwen, Braunkopfmöwen oder Kormorane. Was die Bewohner der Region und eiligst herbeizitierte Wissenschaftler stutzig macht, ist ein Massensterben unter den Wildvögeln, das völlig untypisch ist. Innerhalb weniger Wochen erkranken mehr als 3.000 Tiere, mehr als die Hälfte davon fällt der merkwürdigen Seuche zum Opfer.

Hat auch hier H5N1 seine „Finger“ im Spiel? Aber eigentlich erkranken doch keine Wildvögel an der Vogelgrippe?! Die Wissenschaftler sind zunächst ratlos. Die Resultate der Test bringen schließlich Gewissheit: Die Vögel sind tatsächlich am H5N1-Erreger gestorben. Allerdings an einem neuen Stamm, der durch den Austausch von Erbmaterial mit anderen Vogelgrippeviren noch gefährlicher wurde und sogar die sonst immunen Wildvögel dahinrafft.

Supervirus auch ohne menschliche Gene?

Indricotherium, Deinotherium und heutiger Elefant im Vergleich. Das vor rund 37 bis 23 Millionen Jahren lebende Indricotherium erreichte eine Masse von 15 Tonnen, das vor rund acht bis zwei Millionen Jahren lebende Deinotherium sogar 17 Tonnen. © Alison Boyer/ Yale University

Und noch eine Entdeckung gibt den Wissenschaftlern zu denken: Bisher ging man davon aus, dass ein Supervirus in der Regel nur dann entsteht, wenn es zum Erbgutaustausch mit menschlichen Grippeviren kommt.

Neueste von den Wissenschaftsmagazinen Science und Nature im Oktober 2005 veröffentliche Studien amerikanischer Forscher widerlegen jetzt diese Theorie. Ein „Zutun“ menschlicher Viren ist demnach gar nicht nötig. Der Erreger der „Spanischen Grippe“ H1N1 war nach den Ergebnissen der Virologen ein reiner Vogelgrippevirus, der sich nur durch Mutationen selbst „optimiert“ und angepasst hat, bis er leicht von Mensch zu Mensch übertragbar war.

Wie das RKI auf seiner Website berichtet, zeigte nun ein Vergleich mit H5N1, „dass einzelne genetische Merkmale des Erregers der Spanischen Grippe inzwischen auch bei H5N1 zu finden sind.“

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Stand: 28.10.2005

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In den Schlagzeilen

Inhalt des Dossiers

Vogelgrippe
Vom Tiervirus zur tödlichen Gefahr für den Menschen

Emerging diseases auf dem Vormarsch
Vogelgrippe ein „alter Hut“?

Gefahr für Mensch und Tier
Ablauf der Infektion

Immer weiter Richtung Westen?
H5N1 erobert Europa

„Knast“ für Hühner
Angst vor der Vogelgrippe in Deutschland

H5N1 wandert weiter
Auch Afrika bedroht

Reale Gefahr oder Hysterie?
Die Bedrohung durch die Vogelgrippe

Holland in Not
Seuchenalarm in Mitteleuropa

Todesursache Vogelgrippe
Weitergabe des Virus von Mensch zu Mensch möglich

Warnung vor dem „Killervirus“
Droht eine neue weltweite Grippewelle?

Die Pandemie kommt…
...aber wann?

Letzte Rettung Tamiflu
Ein Grippemittel macht Karriere

Schlechte Karten im Ernstfall?
Das Geschäft mit der Vogelgrippe

Alles wird gut?!
Streit um den Nationalen Pandemieplan

Wie alles begann…
H5N1 erobert Hongkong

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